Der Traum der Hebamme / Roman
»Schlagt ihm den Kopf ab!«
Er lächelte abermals boshaft und ließ Hedwig noch einmal die Platten mit den Speisen reichen: »Hier, nehmt Euch, es schmeckt köstlich!«
Hedwig konnte keinen Blick von Lothar abwenden, von seinem geschundenen Körper, seinem entstellten Gesicht. Würde es irgendetwas geben, womit sie ihn retten konnte, sie hätte es getan. Doch sie wusste, dass sie ihren Sohn nicht aufhalten konnte. Dies war seine Rache an ihr.
Ein Priester trat zu dem Todgeweihten, wechselte mit ihm ein paar leise Worte und schlug ein Kreuz über seinem Kopf.
»Wollt Ihr vielleicht durch ein offenes Geständnis Eurer Schandtaten Euer Gewissen erleichtern?«, fragte Albrecht.
»Es gibt keine Schandtat, die ich zu gestehen hätte«, antwortete Lothar.
»Also dann!«
Mit einem einzigen Fingerzeig gab Albrecht den Hinrichtungsbefehl.
Bevor ihn der tödliche Hieb traf, richtete Lothar sein verbliebenes Auge auf Hedwig, um sich von ihr zu verabschieden. Er hatte nichts gestanden, das ihr schaden könnte, und er bereute nichts. Nun lächelte er sogar, wie er es bei ihrem letzten Zusammensein versprochen hatte.
Hedwig schloss die Augen, als die Klinge aufblitzte, sie hörte nur den Aufschrei der Menschenmenge und das dumpfe Geräusch, mit dem sein Kopf und sein Leib zu Boden fielen.
»So, Mutter, ergeht es allen, die sich gegen mich verschwören«, sagte Albrecht drohend. »Jetzt kommt und leistet mir an der Tafel Gesellschaft.«
Er erhob sich und bot ihr die Hand. Während sie versuchte aufzustehen, ohne zu taumeln, raunte er ihr gehässig zu: »Und wagt es ja nicht, Euch mit einer Ausrede davor zu drücken. Ihr werdet an meiner Seite sitzen und mit mir auf das Wohl meines Erben trinken, bis ich Euch erlaube zu gehen!«
Dieser Tag war für ihn ein Triumph. Doch seinen größten Triumph würde er morgen feiern, wenn er Freiberg in die Knie zwang.
Am nächsten Tag in Freiberg
D er Wind trieb winzige Schneeflocken vor sich her, erste Vorboten des nahenden Winters. Außer dem Fauchen des Windes und ab und an einem Geräusch aus den Stallungen herrschte Grabesstille auf dem Freiberger Burghof, obwohl er voller Menschen war. Nicht einmal in der Münze wurde gearbeitet, aus der Zainegießerei drang kein Rauch.
Der Markgraf von Meißen hatte die Bewohner der Stadt hierher befohlen, und es gab klare Anzeichen dafür, dass es diesmal nicht um einen jubelnden Empfang für den Herrscher ging: die grimmigen Mienen der Wachen, die die Menschenansammlung umringten, und der Richtblock vor dem hölzernen Podest, auf dem eine Axt, Messer, Zangen und anderes Werkzeug lagen, mit dem auf der Stelle blutige Urteile vollstreckt werden konnten.
Dies allein hätte schon bewirkt, dass die Freiberger still und furchtsam auf dem Hof knieten und trotz der Kälte gehorsam warteten, bis der Fürst sich blicken lassen und auf dem Podest Platz nehmen würde.
Doch das sicherste Zeichen dafür, dass heute noch Blut fließen sollte, war der Anblick Christians. Der junge Stallmeister stand mit entblößtem Oberkörper an einen Pfahl gebunden. Niemand wusste, was ihm vorgeworfen wurde, aber mittlerweile schlotterte er vor Kälte, und seine Lippen waren blau angelaufen.
Sie warteten nun gemäß dem Befehl des Truchsessen bestimmt schon eine Stunde. Vorn knieten der Bergmeister, der Münzmeister, der Bürgermeister und die Ratsherren, an der Seite der Anführer der Juden vom Judenberg, dahinter die Händler und Handwerker, ganz hinten die Knechte und Mägde, die die Köpfe reckten, um zu sehen, ob sich vorn etwas tat. Niemand von ihnen wusste, wann der Fürst kommen und was er befehlen würde. Es wagte auch niemand, danach zu fragen oder aufzustehen, um die vor Kälte starr gewordenen Glieder durchzuschütteln.
Endlich! Ein Signal kündigte den Fürsten an. Der Wind hatte inzwischen etwas nachgelassen, die Flocken wurden größer und schwebten auf die Köpfe und Schultern der Knienden herab.
Begleitet von seinem Truchsess, seinem Schenken und seiner Leibwache betrat Albrecht das für ihn errichtete hölzerne Podest auf dem Burghof. Rutger ging unmittelbar hinter seinem Ziehvater, der Burgvogt folgte ihnen mit zögernden Schritten.
»Kniet nieder vor Fürst Albrecht, durch Gottes Gnade Herrscher über die Mark Meißen!«, rief Elmar ungeachtet dessen, dass alle bereits knieten und nun demütig die Köpfe senkten.
Albrecht trat an den vorderen Rand des Podestes. Eisig sah er auf die Menschen vor ihm herab, ohne ein Wort zu sagen, breitbeinig,
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