Der Traum der Hebamme / Roman
senden.
Lukas, der Dietrichs Zweifel erriet, schlug ihm vor, einen Boten zu seinen ranghöchsten Verwandten zu schicken, dem Markgrafen der Ostmark und dem Herzog von Sachsen. Beide hatten Albrecht zwar vor fünf Jahren bei der Gefangennahme seines Vaters unterstützt, aber vielleicht würden sie ihn nun zur Mäßigung ermahnen, damit das Haus Wettin nicht noch mehr in Bedrängnis geriet.
Kaum hatte der Reiter den Burghof verlassen, als ein anderer Bote eintraf, dessen Nachrichten Hermann und Dietrich sofort ihre militärischen Ratgeber zu einem Kriegsrat zusammenrufen ließen: Hermanns Marschall Heinrich von Eckartsberga, Norbert von Weißenfels und Lukas.
Zwei mächtige Gegner Hermanns, die Erzbischöfe von Mainz und Köln, nutzten die Abwesenheit des Landgrafen, um mit eigenen Streitkräften über Hessen gen Thüringen vorzurücken. Die landgräfliche Stadt Grünberg sei bereits zerstört, wiederholte der Bote seine Meldung. Und Albrecht sammle etwa dreißig Meilen nordöstlich von Weißenfels sein Heer bei Röblingen, zwischen Halle und Sangerhausen, um in thüringisches Gebiet einzufallen.
»Kommen wir ihm zuvor!«, entschied der Landgraf. Niemand widersprach. Es gab keinen anderen Weg, wenn sie nicht von zwei Angreifern in die Zange genommen werden wollten. »Reiten wir nach Röblingen und jagen sie davon! Morgen früh brechen wir auf.«
Das wird keine Belagerung, sondern eine offene Feldschlacht, erkannte Lukas sofort. Schon begann er zu überlegen, auf wen er dabei alles stoßen würde.
Er hatte noch eine Menge Rechnungen zu begleichen, und einige davon waren überfällig.
Der größte Teil der thüringischen Streitmacht hatte unterhalb der Burg auf dem weißen Felsen das Lager aufgeschlagen. Nach der Morgenandacht wurden Zelte abgebaut, Essensrationen verteilt, mussten Hunderte Pferde getränkt und gesattelt werden, erschollen Kommandos von allen Seiten.
Auf dem Burghof herrschte nicht weniger Geschäftigkeit.
Raimund, Lukas und Marthe wollten sich dort gerade von Elisabeth verabschieden, als Lukas jemanden seinen Namen rufen hörte. Er drehte sich um und sah Norberts Erstgeborenen auf sich zukommen. »Ein junger Bursche sucht ganz dringend nach Euch. Er sagt, er sei Euer Sohn, und er sieht auch aus wie Euch aus dem Gesicht geschnitten.«
Irritiert starrte Lukas auf Conrad.
Thomas und Daniel waren hier, aber sie sahen ihm mit ihren dunklen Haaren nicht im Geringsten ähnlich; sie kamen ganz nach ihrem Vater, Christian. Außerdem konnte man Thomas beim besten Willen nicht mehr als Burschen bezeichnen.
Aber Conrad hatte sich schon wieder weggedreht und gab irgendwem weiter hinten rufend und winkend das Zeichen, zu ihm zu kommen.
Als Lukas sah, wer sich ihnen da näherte, verschlug es ihm für einen Augenblick die Sprache. Weshalb war Paul nicht in Eisenach? Und wie hatte es ihn hierher verschlagen, anscheinend sogar ohne Begleiter mit seinen vierzehn Jahren? Wollte er vielleicht seinen Vater dazu überreden, ihn mit auf den Kriegszug zu nehmen?
»Es ist etwas mit Clara!«, stöhnte Marthe, und schlagartig kreisten auch Lukas’ Gedanken um alle möglichen Dinge, die seiner Stieftochter widerfahren sein könnten.
»Clara hat einen Sohn geboren«, rief der blonde Lockenschopf ihnen zu. Ein Karren versperrte ihm den Weg, dessen Ochsengespann offensichtlich keine Lust hatte, sich so schnell zu bewegen, wie der Kärrner es wollte. Paul wich dem Hindernis in einem engen Bogen aus und sah seinen Vater erwartungsvoll an.
»Geht es Clara gut? Lebt sie?«, fragte Marthe hastig.
»Ja«, antwortete Lukas’ Erstgeborener.
»Und sie haben dich allein geschickt?«, erkundigte sich sein Vater. »Ins Kriegsgebiet?« Da war etwas faul!
»Ja, sie wollten keinen anderen reiten lassen«, meinte Paul, insgeheim beinahe beleidigt. Ein bisschen Lob sollte er schon dafür verdient haben, dass er sich auf eigene Faust hierher durchgeschlagen hatte. »Ich dachte, der Graf wird es erfahren wollen. Und Ihr auch …«
»Gut gemacht!«, sagte Lukas und hieb seinem Erstgeborenen anerkennend auf die Schulter. Trotzdem nahm er sich fest vor, nach seiner Rückkehr auf die Wartburg dort herauszufinden, wer den Jungen allein auf diese weite Reise durch Kriegsgebiet geschickt hatte. Das war nicht fahrlässig, das grenzte an Feindseligkeit, und er war maßlos aufgebracht darüber.
»Da ist noch etwas …« Paul holte tief Luft und begann zu erzählen.
Marthe wurde immer blasser angesichts seiner Worte. Sie schien gar
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