Der Traum der Hebamme / Roman
hereinbrechenden Dunkelheit konnten Marthe und der Feldscher hier im Freien nichts mehr für die Männer tun.
Marthe wusch sich an einem Bachlauf das Blut von den Händen und drückte den schmerzenden Rücken durch, ehe sie das Bündel mit ihren Sachen und den Korb mit den Arzneien aufhob. Wie benommen irrte ihr Blick über das zweite Schlachtfeld – das, wo sie und der Feldscher den Kampf um das Überleben der Verwundeten ausgetragen hatten.
Lukas hob sie vor sich in den Sattel, und erst in dem Augenblick, als sie sich erleichtert an ihn lehnte, wurde ihr bewusst, dass er den Kampf überlebt hatte und ihm nichts geschehen war.
Vor Freude und Erschöpfung zugleich liefen ihr die Tränen.
Sie ritten an einem Karren vorbei, auf den Tote gestapelt waren. Marthe zwang sich, nicht auf die erstarrten Gesichter zu sehen, nicht in die vor Schreck oder Schmerz aufgerissenen Augen, nicht auf die blutigen, verstümmelten Körper.
Stattdessen lehnte sie sich noch enger an Lukas und ließ sich berichten, was geschehen war. Thomas, Daniel und auch Raimund waren weitgehend unverletzt, auch Dietrich, erfuhr sie und atmete auf.
Hermanns Panzerreiterei hatte die meißnischen Belagerer nach kurzem, heftigem Kampf verjagt und vor sich hergetrieben, Albrechts neue Burg war eingenommen.
»Dank der Hilfe zweier guter, alter Bekannter«, meinte Lukas grinsend.
Marthe fühlte sich zu erschöpft für Ratespiele. Aber als Lukas genüsslich mit der Sprache herausrückte, lächelte sie zum ersten Mal an diesem Tag aus vollem Herzen. »Ich hätte darauf kommen müssen!«
Kuno und Bertram hatten sich freiwillig zu einem Kontrollgang gemeldet und an einer auffälligen Stelle Spuren hinterlassen, die vortäuschten, sie seien verletzt und in Gefangenschaft geraten. Das würde es ihnen ermöglichen, später nach Freiberg zurückzukehren. Dann waren sie schnurstracks übergelaufen und hatten Norbert und Dietrich sämtliche Einzelheiten berichtet, die diese brauchten, um die Burg einzunehmen. Es wurden eine Menge Gefangener gemacht, doch Albrecht und seine engsten Vertrauten waren nicht darunter.
Auf der Burg fragte sich Marthe mit Lukas’ Hilfe sofort zu ihren Söhnen durch und schloss sie froh in die Arme.
Daniel wirkte völlig aufgewühlt; es war die erste Schlacht, an der er teilgenommen hatte, wenn auch nur als Knappe und nicht in vorderster Kampflinie, und der Sieg schien so mühelos errungen und vollkommen.
Thomas hingegen benahm sich so, als ob ihn dieses Gefecht überhaupt nicht weiter berührte. »Die große Schlacht kommt erst noch, du wirst sehen«, versuchte er, den Überschwang seines jüngeren Bruders zu dämpfen.
Nun sah sich Marthe auf der Burg um. Die meisten Dorfbewohner waren schon wieder in ihre Häuser zurückgekehrt, bis auf ein paar Frauen, die in der Backstube oder bei der Pflege der Verwundeten halfen.
Der kleine Simpel, den sie damals vor Gertruds Schlägen gerettet hatte, kam freudestrahlend auf sie zugerannt und zupfte an ihrem Rock. Er schien kaum gewachsen zu sein in den drei Jahren, die seitdem vergangen waren, aber er lebte noch.
Am Schmiedefeuer stand Guntram und hämmerte auf ein längliches, glühendes Stück Eisen, das er geschickt und gleichmäßig mit der linken Hand drehte. Neben ihm redeten Kuno und Bertram auf ihn ein; wahrscheinlich prahlten sie damit, wie sie Albrechts Leute an der Nase herumgeführt hatten. Als Kuno Marthe entdeckte, zog ein Strahlen über sein Gesicht, er stieß Bertram in die Rippen. Begeistert begrüßten die drei Freiberger Marthe und Lukas.
So viele vertraute Gesichter! Marthe konnte es kaum fassen, dass ihr Mann, ihre Söhne und alle, die ihr noch besonders am Herzen lagen, diesen Tag überlebt hatten.
Elisabeth kam ihnen entgegengelaufen. Marthe, die sie lange nicht gesehen hatte, erschrak darüber, wie schmal sie im Gesicht seit dem Tod ihres Sohnes geworden war.
Sie muss mehr essen!, dachte sie. Ich muss mit Raimund darüber reden. Es macht ihren Sohn nicht wieder lebendig, wenn sie nichts isst.
Die beiden Frauen umarmten sich, froh über das Wiedersehen trotz der Umstände.
»Raimund hat mich hierhergebracht, damit ich in Sicherheit bin«, erzählte Elisabeth. »Also habe ich mich um die Vorräte gekümmert, so wie früher du.«
Ein Knappe trat zu ihnen und richtete aus, Ritter Lukas und seine Gemahlin seien heute Abend an die Tafel des Grafen und des Landgrafen eingeladen.
Prüfend betrachtete Marthe ihr blutverschmiertes, einfaches Kleid. »Ich muss mich
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