Der Traum der Hebamme / Roman
dachte Lukas bitter. Entweder du folgst deinem Lehnsherrn gegen dein Gewissen, du gehst ins Exil – oder du widersetzt dich und verlierst den Kopf.
Zu niemandem sonst würde Dietrich so offen sprechen, das wusste Lukas ebenso wie Marthe. Nur sehr wenige Menschen ahnten, welche Leidenschaft hinter seiner beherrschten Miene loderte. Lukas gehörte zu diesen wenigen – trotz des Standesunterschiedes. Als bester Freund und Nachfolger Christians war er so etwas wie ein älterer Bruder für Dietrich, beinahe wie ein Vater, zumindest jedoch ein zuverlässiger Ratgeber. Sie hatten vier Jahre gemeinsam in Christians Haushalt verbracht, waren zusammen in den Krieg gegen den mächtigen Welfenherzog Heinrich den Löwen geritten und dabei mehrfach dem Tod nur knapp entronnen. Das ließ sie einander so gut verstehen.
»Betrachtet es als Glück, dass Ihr kein Fahnenlehen des Kaisers haltet, sondern eine Grafschaft aus wettinischem Besitz«, meinte Lukas vorsichtig. Dahinter standen ungesagt die Worte: Dann könnt Ihr Euch von diesem Kaiser fernhalten, so gut es geht.
Wieder warf Dietrich einen Blick zum Fenster. Doch noch stieg kein Rauch am Horizont auf.
»Also schickt mir Landgraf Hermann mit Euch ein halbes Dutzend kampferfahrener Männer«, wechselte er abrupt das Thema.
»Und selbst dazu konnte er sich nur mit Mühe durchringen«, berichtete Lukas. »Der Streit zwischen Euch und Eurem Bruder ginge ihn nichts an, meint der Landgraf von Thüringen.«
»Dieser Streit wird ihn spätestens dann etwas angehen, wenn Albrechts Truppen thüringisches Gebiet verwüsten. Das weiß Hermann so gut wie ich«, entgegnete Dietrich ungehalten. »Was verspricht er sich davon? Was will er dafür, dass er mich unterstützt? Land? Silber? Gefolgschaft? Soll ich ihm einen Lehnseid schwören?«
Lukas holte tief Luft und sah Dietrich ins Gesicht. »Er will Euch als Schwiegersohn«, gab er die Botschaft des Landgrafen weiter, so ruhig er konnte. »Sobald Ihr Euch mit seiner Tochter Jutta verlobt, schickt Hermann zweihundert Mann unter Waffen.«
Ungläubig starrte Dietrich auf die beiden Gäste. Plötzlich ergaben die früheren Andeutungen und Ausflüchte von Clara einen Sinn.
»Diese Jutta ist doch noch ein Kind! Höchstens fünf oder sechs Jahre alt«, brachte er heraus.
»Sie ist acht«, berichtigte ihn Marthe sanft. »Sie ist kein besonders schönes Kind, und Hermann ist wohl in Sorge, sie nicht gut verheiraten zu können. Aber sie ist sehr klug für ihr Alter, und vielleicht entwickelt sie sich mit der Zeit noch zu einer Schönheit. Ihr Vater würde sich vorerst mit einer Verlobung zufriedengeben.«
»Nein!« Schroff schob Dietrich seinen Becher beiseite, als könne er damit auch das Angebot des Landgrafen von sich weisen.
Marthe wollte etwas sagen. Sie mochte die kleine Tochter des Landgrafen, aber zugleich fühlte sie tiefes Mitleid mit den zwei Menschen, die hier aus politischen Zwängen und dem Kalkül des Landgrafen heraus eine Ehe eingehen sollten, obwohl sie nichts miteinander verband, als dass ihre Väter dem Fürstenstand angehörten.
»Ich wollte Euch beide heute um Claras Hand bitten – in aller Form«, erklärte Dietrich zu Lukas’ grenzenloser Verblüffung. »Ich hoffte, sie nach Ablauf der Trauerzeit dafür gewinnen zu können, meine Gemahlin zu werden. Und um gleich allen Einwänden zuvorzukommen: Es kümmert mich nicht, wenn sich die Leute darüber die Mäuler zerreißen, dass meine Braut niederen Standes ist als ich.«
Verzweifelt schloss Marthe für einen Moment die Augen. Auch wenn sie wusste, dass ihre Tochter und Graf Dietrich etwas füreinander empfanden – es war undenkbar, dass sie heirateten, nun erst recht. Dietrich brauchte die militärische Unterstützung des Landgrafen.
Sie suchte nach Worten, während sie spürte, dass ihr Mann es diesmal ihr überließ zu antworten.
Lukas, dem mit allen Wassern Gewaschenen, dem Schlauen und Listenreichen, hatte es die Sprache verschlagen. Und das kam nun wirklich äußerst selten vor.
Der Angriff
A nschwellender Lärm und Wehklagen vom Burghof enthoben Marthe einer Antwort.
»Durchlaucht … Sie kommen zum Fluss, mindestens zweihundert Mann!«, rief jemand von draußen, der eilig die Treppe heraufgepoltert kam. Dietrich stand hastig auf, Lukas ebenso, und nun sahen sie vom Fenster aus Rauchwolken aufsteigen.
»Tagwerben und Cuba stehen in Flammen!« Der Ritter, der die Nachricht überbrachte, rang um Atem.
»Gott steh uns bei! Lukas, sichert Ihr die
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