Der Traum der Hebamme / Roman
auch nicht übermäßig große Stücke auf seinen unzuverlässigen Bruder hielt, so doch auf dessen ältesten Sohn, der ebenfalls Jakob hieß. Lukas hatte den jungen Neffen eine Zeitlang als Knappen ausgebildet, bis sein Vater ihn zurückrief, weil er meinte, unter Giselbert oder Gerald könne sein Sohn eher Ruhm erwerben als bei seinem Oheim, der zwar ein gestandener Kämpfer war, aber beim neuen Markgrafen in Verruf stand.
Konnte es sein, dass jetzt der jüngere Jakob ebenfalls da unten war, im feindlichen Lager?
»Wir haben den jungen Jakob bisher nicht unter Albrechts Leuten entdeckt«, erklärte Kuno, der Marthes Sorge erriet. »Aber wenn Ihr wollt, könnten wir noch einmal hinschleichen, am besten bei Nacht, wenn es so lange Zeit hat. Mit etwas Glück kommen wir ein zweites Mal durch.«
Marthe überlegte einen Augenblick, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nicht jetzt. So leid es mir tut: Raimund ist vorerst auf sich gestellt. Er ist bewusst dieses Wagnis eingegangen, sonst wäre er nicht hier. Wir kennen seine Pläne nicht und müssen darauf vertrauen, dass er weiß, was er tut. Er wird Verbündete haben. Ihr zwei müsst sicher bald sowieso noch einmal dorthin, um die Pläne der Kerle da oben auszuspionieren. Doch das soll Norbert entscheiden. Fordert euer Glück nicht zu sehr heraus!«
Sie sah zu Clara, weil sie befürchtete, die Tochter könnte Einspruch erheben und verlangen, dass sie irgendetwas unternahmen, um dem Freund beizustehen. Aber Clara begriff wohl, dass sie derzeit selbst viel zu sehr in Bedrängnis steckten, um von hier aus etwas für Raimund zu tun.
Wie zur Bestätigung kam auf einmal ein halbes Dutzend Leute aus dem vorderen Teil der Burg und überhäufte die beiden Frauen mit Fragen, Aufgaben und Dingen, die sofort zu regeln waren: das Weib des Schuhmachers sei plötzlich in die Wehen gekommen und schreie sich die Seele aus dem Leib, eine der Helferinnen im Backhaus habe sich beim Ausheben der Brote die Hand verbrannt, der Küchenmeister wolle wissen, ob er heute ein Schwein schlachten solle, und unter den Frauen auf dem Hof sei eine Schlägerei im Gange.
Marthe und Clara verständigten sich mit einem Blick.
»Ich kümmere mich um die Kreißende und die Backmagd«, erklärte Clara und lief schon los.
»Und ihr zwei kommt mit mir zu den prügelnden Weibern«, wies Marthe die beiden Freiberger an und raffte ebenfalls ihre Röcke.
Der Moment der Ruhe war vorbei. Nun mussten sie zusehen, wie sie es schafften, dass die Belagerten auf der Burg durchhielten, bis Hilfe kam.
Sofern Hilfe kam.
Gefangene
M isstrauisch beobachtete Elmar, wie seine Männer wild um sich schlugen und damit die aufgebrachten Bienen zu noch wütenderen Attacken trieben.
Diese Tölpel!
Er glaubte nicht an Zufall, schon gar nicht im Krieg. Wenn erst der Tross mit den Ballisten da war, würde er liebend gern auch ein paar Bienenstöcke ins feindliche Lager schleudern lassen. Das war ein bewährtes Mittel, um den Gegner zu zermürben – übertroffen lediglich von griechischem Feuer, das leider nur die Byzantiner herzustellen wussten, und den zerstückelten Gliedmaßen von Geiseln oder Gefangenen. Und davon würden sie zur rechten Zeit genügend haben.
Der Truchsess beschloss, die Bienen zu ignorieren und sich einer weitaus wichtigeren Angelegenheit zuzuwenden.
Er bedeutete einem bulligen Reitknecht, ihm zu folgen, hielt Ausschau nach dem Marschall und ging mit beiden zu dem Zelt, in das er den Gefangenen hatte bringen lassen.
Gerald, der Marschall, hatte inzwischen fast alle Reisigen und die Knechte, die nicht für die Pferde benötigt wurden, zum Bau von Palisaden eingeteilt.
So mischten sich nun Axthiebe in das Geschrei der Männer und das Stöhnen der Verwundeten, um die sich ein klapperdürrer Feldscher kümmerte. Wie der mickrige Kerl wohl ein gebrochenes Bein einrichten wollte?, fragte sich Elmar im Vorbeigehen, obgleich ihn das nicht ehrlich interessierte, solange es sich dabei nicht um sein eigenes Bein handelte.
Forsch betrat er das Zelt und musterte die Szene. Auf dem Boden krümmte sich der Muldentaler. Einer der beiden Ritter hatte seinen Kopf am braunen Haarschopf gepackt und ließ ihn gerade wieder fallen.
»Was habt Ihr herausgefunden?«, fragte Elmar mit mäßiger Neugier. Dieser Kerl da war hartgesotten, das wusste er. Doch gleich würde er sprechen.
Gelangweilt ließ er sich berichten und unterbrach schon nach einigen Worten.
»Ihr verschweigt mir etwas«, sagte er kühl und starrte dem
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