Der Traum der Hebamme / Roman
Doch da Jakob seine Ländereien – eigentlich Lukas’, aber das war eine Geschichte für sich – bestimmt nicht freiwillig aufgeben würde, entfiel diese Möglichkeit vorerst. Sie würden Jakob für sein Entkommen furchtbar büßen lassen. Außerdem musste er in Betracht ziehen, dass dessen ganzer Auftritt eben gespielt und mit Elmar abgesprochen sein könnte, um ihn zu ein paar unvorsichtigen Eingeständnissen gegenüber seinem Mitgefangenen zu verlocken.
Vielleicht tat er Jakob unrecht, aber Lukas’ Bruder war schon lange niemand mehr, dem er vertraute.
Wütend zerrte Raimund an seinen Fesseln, ohne sie lockern zu können. Bald ließ er den Kopf auf den Boden sinken und gab sich ganz seinen Schmerzen hin – dem pulsierenden, brennenden Schmerz in seinem Körper und dem dumpfen Schmerz, den der Gedanke in ihm verursachte, dass sein einziger Sohn tot war.
Brautschau in Eisenach
D ietrich und Lukas schafften es tatsächlich mit einem harten Ritt, bei dem sie nur rasteten, wenn die Pferde Futter brauchten und getränkt werden mussten, bis zur Abenddämmerung des übernächsten Tages nach Eisenach.
Von weitem schon ragte ihnen die gewaltige Wartburg entgegen, auf dem Rücken des Berges wie die Krone Thüringens. Während sie ihre erschöpften Pferde den gewundenen Weg hinauftrieben, erging sich Dietrich in sarkastischen Überlegungen, dass er hier wohl kaum als standesgemäßer Bräutigam auftrat. Seine Kleider und seine Stiefel waren staubig, er kam lediglich in Begleitung eines einzigen Mannes und mit leeren Händen statt mit prachtvollem Gefolge und kostbaren Geschenken.
Doch hätten auch die teuersten Kleider, eine Hundertschaft bewaffnetes Geleit und Truhen voller edler Stoffe und Geschmeide den Landgrafen nicht darüber hinwegtäuschen können, dass sein wettinischer Nachbar in schlimmster Bedrängnis steckte und schnell Hilfe brauchte. Also wollte Dietrich gar keinen anderen Anschein erwecken als den eines Mannes in Not, der Verbündete sucht.
Zum Glück hatte Lukas auf der Wartburg einen solchen Ruf, dass er es im Handumdrehen schaffte, den Grafen von Weißenfels beim Fürsten als Besucher melden zu lassen.
Nur Augenblicke später kam der Kammerdiener zurück, verbeugte sich tief und geleitete die beiden späten Gäste in den großen Saal, wo Hermann mit seinen Rittern zu Abend speiste.
Dietrich war weit in der Welt herumgekommen, bis ins Heilige Land. Und wenn auch die Pracht der Kirchen und Paläste im Byzantinischen Reich und in Outremer alles überstrahlte, was zwischen Rhein und Elbe zu finden war, so ließ der steinerne Palas des Landgrafen von Thüringen manche Königspfalz beinahe kärglich aussehen.
Hermanns Mutter war eine Schwester des verstorbenen Kaisers Friedrich von Staufen gewesen, er selbst am Hof des französischen Königs erzogen worden. Der Prunk seines Stammsitzes und seiner Hofhaltung ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass hier einer der mächtigsten Fürsten des Kaiserreiches residierte.
Wie an Hermanns Hof üblich, musizierte wieder ein Spielmann, während die Ritter und ihre Frauen aßen: Ludmillus, den auch Dietrich kannte. Die Tische waren üppig gedeckt, überall huschten Küchenjungen und Mägde herum, um neue Speisen aufzutragen oder leere Krüge nachzufüllen.
Trotz der Geschäftigkeit im Saal richteten sich aller Augen zur Tür, als dort jemand laut den Grafen von Weißenfels ankündigte.
So gelassen er konnte angesichts der Umstände, schritt Dietrich durch die Halle. Doch entgegen seinen Erwartungen ließ ihn Hermann nicht vor sich niederknien, sondern stand auf und ging ihm sogar drei Schritte entgegen. »Mein teurer Freund und Verwandter, seid willkommen! Ihr seid sicher erschöpft von der Reise. Ziehen wir uns fürs Erste in mein Gemach zurück.«
Er gab dem Kellermeister und dem Küchenmeister Anweisung, Speisen und verschiedene Weine dorthin zu bringen, und bedeutete seinem Truchsess, die Tafel sei nicht aufgehoben, er würde mit seinem Gast nach einiger Zeit zurückkehren. Das hieß, niemand der hier Versammelten durfte ohne Erlaubnis den Saal verlassen.
Also will er nachher gleich das Verlöbnis bekanntgeben, schloss Dietrich resigniert daraus.
Lukas, hungrig und vor allem durstig nach dem langen Ritt, aber in Gedanken ganz bei Dietrich und Hermann, ließ sich derweil neben Burchard von Salza nieder, einem der gefürchtetsten thüringischen Ritter, dessen Sohn Hermann Weißenfels zu Hilfe geeilt war.
»Also stimmt es, dass der Meißner
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