Der Traum der Hebamme / Roman
seinen eigenen Bruder belagert, kaum dass dieser aus dem Heiligen Land zurück ist?«, fragte der alte Kämpe, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und griff nach dem nächsten Stück Braten.
»Es ist eine erbärmliche Schande, Salza, aber Ihr habt recht. Vor vier Tagen ist Albrecht mit seiner Streitmacht in Weißenfels eingefallen. Sein erster Angriff wurde zurückgeschlagen, also hat er die Dörfer in der Umgebung niedergebrannt, und jetzt belagert er die Burg«, berichtete Lukas.
»Ihr nennt die Sache beim richtigen Namen: Schande!«, dröhnte Burchard. »Erst hat sich dieser Albrecht gegen den Vater erhoben, jetzt gegen den Bruder. Gegen einen Wallfahrer! Gegen einen, der mit unserem Kaiser Friedrich, Gott hab ihn selig, um Jerusalem gekämpft hat – das ist eine Beleidigung für uns alle, für jeden gottesfürchtigen Ritter!«
»Dann lasst Euern Hengst schon satteln«, meinte Lukas, erleichtert grinsend. »Ich hoffe, Euer Fürst sieht die Sache genauso und steht Weißenfels bei.«
Er hätte eine Menge dafür gegeben, wenn er jetzt hören könnte, was Dietrich und der Landgraf von Thüringen miteinander besprachen.
Hermann von Thüringen überraschte Dietrich. Er ließ ihn in der Kammer auf einem Stuhl an seiner Seite Platz nehmen, der ebenso prächtig mit Schnitzereien verziert war wie der landgräfliche. Dann winkte er seinen Schenken Rudolf von Vargula herbei, der Wasser aus einem bronzenen Aquamanile über Dietrichs Hände goss, damit er sich nach der langen Reise reinigen und erfrischen konnte – eine Zeremonie, die nur hohen Gästen als besondere Ehrenbezeugung gewährt wurde.
Das war keineswegs selbstverständlich. Sie waren zwar beide nachgeborene Söhne von Reichsfürsten und unterschieden sich nur wenige Jahre im Alter. Doch während Hermann es geschafft hatte, sich nach dem Tod seines Bruders die Regentschaft über Thüringen zu sichern, war und blieb Dietrich lediglich Graf von Weißenfels – und das auch nur, falls er die militärische Konfrontation mit seinem Bruder überstand.
Diener huschten hin und her, entzündeten ein halbes Dutzend Kerzen und deckten den Tisch mit köstlichen Speisen, Rudolf von Vargula schenkte Wasser und Wein in die Becher. Binnen weniger Augenblicke war alles gerichtet, dann schickte Hermann sie alle mit einer Handbewegung hinaus.
Als sie allein waren, wollte Dietrich sich erheben und niederknien, wie es wohl von jemandem erwartet wurde, der um Hilfe bat, doch Hermann hinderte ihn mit einer Geste daran.
»Lasst uns klare Worte wechseln«, eröffnete der Landgraf das Gespräch. »Ihr wisst durch Lukas von Freiberg, unter welcher Bedingung ich Euch gegen Euren Bruder beistehe. Ich kann gleich morgen früh ausreichend bewaffnete Männer mit Euch schicken, um die Angreifer aus Weißenfels zu vertreiben, wenn es nötig ist – und es scheint nötig, nach allem, was mir meine Spione berichten.«
»Ja, zu meinem Bedauern«, bestätigte Dietrich. Dass Hermann sich informierte, was in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Ländereien vor sich ging, lag auf der Hand. Der Landgraf von Thüringen hatte nicht nur gute Spielleute, sondern auch gute Spione.
»Glaubt nicht, ich wolle Eure Notlage ausnutzen, um eine Tochter loszuwerden, für die sich kein Eheanwärter aus freien Stücken fände«, fuhr Hermann nicht ohne Bitterkeit fort. »Meine Jutta könnte triefäugig sein und eine Hasenscharte haben, und trotzdem würden die Bewerber Schlange stehen angesichts ihrer Mitgift. Sie ist nicht von überwältigendem Liebreiz, aber ein sehr kluges Kind, wie Ihr gleich feststellen werdet. Ich halte Euch für jemanden von solchem Schlag, dass Ihr die Vorzüge einer klugen Gemahlin durchaus zu schätzen wisst.«
Nun lächelte er vieldeutig. »Auf einem der Hoftage führte ich einmal ein außerordentlich bemerkenswertes Gespräch mit Eurer Mutter, der Fürstin Hedwig. Aber nun nehmt von den Köstlichkeiten, ich bitte Euch! Ihr habt vermutlich einen harten Ritt hinter Euch. Probiert von dem Rebhuhn, es ist vorzüglich gewürzt!«
Um seinen Gastgeber nicht zu kränken, nahm Dietrich einen Bissen; das Wildbret war wirklich köstlich.
»Ich glaube nicht, dass Ihr Eure Tochter dem Erstbesten anvertrauen würdet«, sagte er, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. »Doch ich frage mich, warum Ihr sie jetzt schon verloben wollt – und ob es nicht viel würdigere Anwärter gibt?«
»Liegt das nicht auf der Hand?«, fragte Hermann mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ach ja,
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