Der Traum der Hebamme / Roman
anging.
Dies war nicht der Moment für Scherze, das wusste auch Lukas. Selbst wenn Hermann Wort hielt und sie es tatsächlich schafften, mit den zweihundert Thüringern in sechs Tagen hier zu sein, bevor Albrechts Verstärkung eintraf, stand ihnen immer noch eine Schlacht Mann gegen Mann mit vollkommen ungewissem Ausgang bevor.
Und falls sie
nicht
rechtzeitig oder ohne Hilfe kamen, dann war das Leben aller hier oben auf der Burg keinen Pfifferling mehr wert.
»Sei stark … und halte die Augen offen«, flüsterte er ihr ins Ohr, während er sie zum Schein flüchtig auf die Wange küsste. »Irgendwo hier hockt ein Verräter … mindestens einer. Es gibt immer einen, überall.«
Marthe nickte, dann wandte sich Lukas seinem Stiefsohn zu. »Pass gut auf deine Mutter und deine Schwester auf«, beauftragte er ihn. »Ich verlasse mich ganz auf dich.«
Froh darüber, darin von seinem Stiefvater ernst genommen zu werden, brachte Thomas sogar die Spur eines Lächelns über sich – etwas, das seit seiner Rückkehr noch niemand bei ihm gesehen hatte.
»Gott steh Euch bei!«, wünschte er Lukas und Dietrich. »Ich kann es kaum erwarten, dieses Pack da« – mit dem Kopf wies er in Richtung der entstehenden Gegenburg – »davonzujagen!«
Dietrich sagte kein Wort, während sich sein Begleiter von Frau und Stiefsohn verabschiedete.
Unauffällig hielt er Ausschau nach Clara, aber sie ließ sich nicht blicken. Hier, in aller Öffentlichkeit, vor ihren Eltern und ihrem Bruder, hätte er ohnehin nicht frei mit ihr reden können. Doch er hätte sie so gern noch einmal gesehen, ein letztes Mal, bevor er ganz auf sie verzichten musste, und ihr seine Beweggründe erklärt.
Vielstimmiges Gebrüll vom gegenüberliegenden Hügel kündete davon, dass Kuno und Bertram ihre Ladung aufgebrachter Bienen gut im feindlichen Lager plaziert hatten.
Dietrich sah zu Lukas, der ihm zunickte und sein Pferd am Zügel nahm. Sie mussten los. Sosehr es Dietrich auch schmerzte – er musste das thüringische Angebot annehmen. Raimunds Auftauchen hatte den letzten Ausschlag für seine Entscheidung gegeben. Er wollte nicht noch einmal einen verzweifelten Vater vor sich sehen, dem er die Nachricht vom Tod seines einzigen Sohnes überbringen musste.
Mutter und Tochter
M arthe und Clara standen an der Mauer am entgegengesetzten Ende der Burg und starrten in die Richtung, in der sie Lukas und Dietrich vermuteten. Manchmal glaubte eine von ihnen, zwischen dem Geäst ein Stück Fell eines Pferdes oder das Blitzen eines Schwertknaufes erkennen zu können, doch vielleicht gaukelte ihnen die Phantasie etwas vor – die Phantasie oder die Hoffnung, noch einmal den Mann sehen zu können, den sie liebten.
»Werden sie zurückkehren?«, fragte Clara. Marthe wusste, dass die Tochter jetzt nicht nur ein paar tröstende Worte hören wollte, sondern das, was sie wirklich glaubte, fühlte und wusste.
»Das werden sie«, sagte sie, Claras Kummer teilend. »Aber entweder kommt Dietrich als Bräutigam Juttas mit einer Streitmacht – oder allein mit Lukas. Dann steht uns eine aussichtslose Schlacht bevor, die in einem Gemetzel enden wird. Er hat keine Wahl, wenn er nicht noch mehr Blut auf sich laden will. Du darfst es ihm nicht vorwerfen.«
Marthe setzte sich auf den Boden, zog die Knie an und schloss die Arme darum.
Verwundert sah Clara auf ihre sonst so ruhelose Mutter.
Die Verwundeten waren versorgt, sie hatten am Morgen entschieden, dem jungen Sergenten doch nicht die Hand abzunehmen, um das Geschehen auf dem Burghof sollten sich vorerst die Männer kümmern und die wieder halbwegs beruhigte Gertrud. Die kleine Änne schlief in Obhut einer fürsorglichen Kinderfrau. Vielleicht war dies in den Tagen bis zur unaufhaltsam nahenden Schlacht die einzige Gelegenheit, um ungestört miteinander zu reden.
Also ließ sich Clara neben ihrer Mutter nieder und wartete, was diese wohl sagen würde. Dass es dabei um Dietrich gehen würde, war ihr bewusst, und sie fühlte sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich ihrer Mutter anzuvertrauen, und der Furcht, diese könnte ihr das Vorhaben mit aller Macht ausreden.
»Dietrich hat Lukas um deine Hand gebeten«, begann Marthe zögernd, als würde sie die Gedanken ihrer Tochter lesen. »Sehr zu Lukas’ Erstaunen und gegen seine Einwände.«
»Ich habe
Graf
Dietrich bereits gesagt, dass das unmöglich ist und er Jutta von Thüringen heiraten muss«, sagte Clara brüsk.
»Ich weiß«, entgegnete Marthe ruhig.
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