Der Traum der Hebamme / Roman
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»Raimund muss euch die Einzelheiten berichten«, unterbrach Lukas den Ansturm der Fragen, nachdem er die wichtigsten Geschehnisse in drei Sätzen zusammengefasst hatte.
»Wir« – er zog Marthe zu sich – »müssen packen, wir reiten gleich mit Dietrich zu Fürstin Hedwig. Und Thomas sollte vor dem Aufbruch zum Pater gehen, um dem barmherzigen Gott für seinen Sieg zu danken und Vergebung seiner Sünden zu erbitten.«
Als sie in ihrer Kammer waren, ließ sich Marthe auf eine Truhe sinken, weil ihr auf einmal die Beine den Dienst versagen wollten.
»Ist dieser Alptraum tatsächlich vorbei?«, fragte sie. »So viele Jahre haben wir seinetwegen in Angst und Schrecken gelebt. So viele Tote, so viel Blut und so viele Tränen.«
Das Bild, wie Christian von drei Pfeilen durchbohrt zu Boden sank, stand ihr wieder lebendig vor Augen, als wäre es gerade erst geschehen.
Lukas trat zu seiner Frau und nahm ihren Kopf in beide Hände. »Es ist vorbei. Er ist tot. Und wenn Elmar nicht doch noch das Land verlässt, werde ich ihn eines Tages ebenfalls töten, so wie Ekkehart und Giselbert. Sie können dir nichts mehr antun.«
Verstört sah Marthe auf. Hatte er diese Namen zufällig genannt, weil sie eben die größten Schurken am Meißner Hof waren? Oder ahnte er etwas davon, was vor vielen Jahren vorgefallen war?
Sie schlang die Arme um seinen Hals und lehnte sich an ihn. »Willkommen zurück. Willkommen in besseren, neuen Zeiten«, sagte sie. Dann küsste sie ihn innig.
Das muss sich erst noch zeigen, wie viel besser die neuen Zeiten werden, dachte Lukas, während er ihr sanft durch das Haar strich.
Immerhin, er war noch am Leben. Und Thomas und Raimund waren es auch.
Thomas konnte vor dem Aufbruch nicht mehr mit dem Geistlichen sprechen; der Pater sei unterwegs, um Kerzen und Messwein zu besorgen, hieß es.
Christians Sohn war das recht, er wollte zuallererst und dringend mit seiner Schwester reden. Eine Stunde Zeit hatte er dafür. Er musste nichts packen; was er brauchte, trug er mit sich.
Clara saß diesmal mit ihren Kindern zusammen. Änne versuchte sich bereits an einer Näharbeit, und wenn die Stiche, die sie ihrem Oheim präsentierte, auch noch sehr unregelmäßig waren, so lobte er sie über Gebühr. »Du wirst einmal wunderbar Wunden nähen können!«, versicherte er ihr und erntete dafür einen vorwurfsvollen Blick von Clara und ein strahlendes Lächeln von Änne.
Den dreijährigen Dietrich hatte Clara auf dem Schoß und erzählte ihm eine Heiligengeschichte. Da er einmal Geistlicher werden sollte, bemühte sie sich, sein Interesse an Geschichten, Bildern und Büchern zu fördern, statt ihn wie andere Jungs mit Holzschwertern über den Hof rennen zu lassen.
Und den kleinen Konrad setzte sie kurzerhand ihrem Bruder auf den Schoß; sollte der sehen, wie er mit dem zappligen Bündel fertig wurde!
»Wie hältst du das den ganzen Tag lang aus?«, fragte Thomas, nachdem er vergeblich versucht hatte, den Kleinsten irgendwie zu Ruhe zu bringen. Das Einzige, das Konrad begeisterte, war der Griff von Thomas’ Essmesser, auf dem er hingebungsvoll kaute. »Ich glaube, es ist weniger anstrengend, als Knappe von den grimmigen alten Waffenmeistern umhergescheucht zu werden, als diese drei kleinen Ungetüme zu bändigen!«
»Er zahnt«, meinte Clara lächelnd mit Blick auf den kleinen Konrad. »Gib ihm das; sie wollen dann immer auf etwas beißen.« Sie schob ihm einen sorgfältig geglätteten Holzreif hinüber, den Konrad sofort schnappte und in den Mund steckte.
Wenig später kam zu Thomas’ großer Erleichterung Lisbeth mit einer Schüssel Brei, um die Kinder zu füttern und schlafen zu legen.
»Gehen wir gemeinsam in die Kapelle?«, fragte Clara, nachdem sie versprochen hatte, wiederzukommen und ein Schlaflied zu singen, wenn alle drei brav aufgegessen hätten.
Ihr Bruder stimmte zu, obwohl er argwöhnte, dass Clara nur hinauswollte, um mit ihm etwas Vertrauliches zu besprechen oder ihm ins Gewissen reden, so wie es kein Beichtvater vermochte.
»Fühlst du dich erleichtert, nun, da Rutger tot ist?«, fragte sie, während sie über den großen Burghof schlenderten.
»Ich sollte es wohl sein«, meinte er zögernd. »Aber es ist immer noch nur große Leere in mir. Ich kann nichts mehr fühlen, schon lange nicht. Manchmal frage ich mich, ob ich meine Seele im Heiligen Land verloren habe.«
»Vielleicht hast du sie dort nicht verloren, sondern vergessen?«, sagte Clara zu Thomas’
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