Der Traum der Hebamme / Roman
des Fleisches war, das ihn zu Eschiva zog.
Wie kam nur Notker damit zurecht? Aber wahrscheinlich hatte er nie eine Frau angerührt, da mochte es leichter fallen.
Er wagte es nicht einmal, den Freund zu bitten, ihm die Beichte abzunehmen.
Die meisten Priester im Feldlager waren vermutlich nicht übermäßig entsetzt, wenn ihnen jemand fleischliche Begierde beichtete. Das traf doch mehr oder weniger auf alle Männer im Feldlager zu.
Aber wenn er jetzt zur Beichte ging, würde einiges mehr zusammenkommen: der Zorn, der in ihm brodelte, der Hass, den er auf beinahe alles und jeden verspürte, manchmal sogar auf Dietrich, die Zweifel daran, ob es wirklich Gottes Wille war, was sie taten, oder nur der Wille des Kaisers, der nun ein toter Mann war.
Das einzige gute Gefühl, das er verspürte, abgesehen von der Liebe zu seiner Mutter und seiner Schwester, seine innige Liebe zu Eschiva, würde die Kirche verurteilen. Ein Wallfahrer hatte enthaltsam zu leben und nicht etwa Heiratspläne zu schmieden.
Das Gewitter zog näher, nun zuckten gleich mehrere verästelte Blitze kurz hintereinander über den Horizont. Prasselnder Regen setzte ein.
Thomas lehnte dankend die Einladung einiger lautstark grölender Ritter aus dem Gefolge Markgraf Konrads ab, sich zu ihnen zu gesellen, und fragte sich, wie diese es wohl bei dem Proviantmangel geschafft hatten, sich derart zu betrinken. Woher mochten sie das Bier und den Wein dazu haben? Aber vielleicht waren sie eher trunken von ihren prahlerischen Sprüchen und den maßlos übertriebenen Berichten ihrer Heldentaten.
Wenn auch ein kräftiger Schluck dazu beitrug, die Angst zu überwinden – fiel er
zu
kräftig aus, konnten ein brummender Schädel oder eine zu träge Bewegung im Kampf den Tod bedeuten.
Würde er morgen sterben? Immer wieder kreisten seine Gedanken um diesen Punkt, und deshalb war es wohl besser, seinen Frieden nicht nur mit Gott zu machen.
Wie von selbst führten ihn seine Schritte zu Dietrichs Zelt.
Der Graf von Weißenfels schien ebenfalls weder Lust zu haben, sich schlafen zu legen, noch mit anderen auf morgige Kampferfolge anstoßen zu wollen.
Kerzengerade stand er in dem stärker werdenden Regen vor seinem Zelt, die Arme vor der Brust verschränkt.
Thomas wollte vor ihm niederknien, doch Dietrich hinderte ihn mit einer Geste daran.
Also blieb er stehen und suchte nach Worten. Aber ohne aufgefordert zu werden, durfte er ohnehin nicht als Erster sprechen.
»Es ist beinahe wie damals … in den Gärten vor Ikonium«, sagte Dietrich gedankenversunken. »Auch damals blitzte und donnerte es in der Nacht, bevor wir in die Schlacht zogen.«
»Nur waren wir damals glücklich über den Regen – nach so vielen Tagen ohne Wasser, dem qualvollen Marsch durch die Wüste und einer Reiterschlacht, die wir mit letzter Kraft und nur sechshundert Pferden schlagen mussten, weil alle anderen verreckt waren. Und« – Thomas hob seinen linken Arm und drehte und wendete ihn leicht lächelnd – »diesmal bin ich nicht verwundet.«
Er erinnerte sich so genau, als sei es gestern gewesen. Aus reiner Verzweiflung hatten sie Ikonium angegriffen, das von einer gewaltigen Übermacht hinter starken Mauern verteidigt wurde. Denn nur dort gab es Wasser für das verdurstende und ausgehungerte Heer. Die Wunde an seinem Arm, die er sich ein paar Tage zuvor in der Reiterschlacht zugezogen hatte, war entzündet und stark angeschwollen. Roland und auch sein Knappe Rupert bestanden darauf, sie auszubrennen. Doch er hatte abgelehnt. Nach menschlichem Ermessen würden sie die Schlacht nicht überleben, also konnte er sich die Quälerei sparen. Er hatte lediglich den Eiter aus der Wunde gedrückt und den heftig strömenden Regen Blut und Gift herausspülen lassen.
Jene Schlacht überlebten sie gegen jede Erwartung, auch wenn Thomas damals dem Tode sehr nahe gekommen war. Er erholte sich wieder. Aber Roland und Rupert starben vor Akkon.
»Wenn mir morgen etwas zustößt, werdet Ihr meiner Mutter und meiner Schwester etwas von mir ausrichten?«, fragte Thomas.
Dietrich sah ihn streng an. »Ich erwarte von Euch, dass Ihr morgen so kämpft, wie ich es von meinem besten Mann gewohnt bin. Nicht so zerstreut, dass Euch sogar ein Knappe besiegt. Dann könnt Ihr Eure Botschaft selbst überbringen.«
Abermals wollte Thomas auf ein Knie sinken, und erneut hinderte ihn der Graf daran.
»Ihr versucht zu oft, dem Tod in die Augen zu blicken!«, rügte Dietrich. »Das ist gefährlich, denn es
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