Der Traum der Hebamme / Roman
Dutzend Bogenschützen.«
»Du hast es immer noch nicht begriffen, was?«, meinte Conrad so höhnisch und selbstsicher, dass Lukas unruhig wurde. War ihm etwas entgangen?
»Was nicht begriffen? Nenne deine Forderung!«, versuchte er, Zeit herauszuschinden. Er hatte eine Bewegung auf dem Dach des ersten Hauses in der Kirchgasse gesehen, blickte aber schnell wieder nach vorn, um niemanden von den Gegnern vor sich darauf aufmerksam zu machen.
»Ich biete dir und deinen Männern hundert Mark Silber, wenn ihr die Geiseln freilasst. Und ungehinderten Abzug. Sonst werden hier alle sterben.«
Hundert Mark Silber waren eine gewaltige Summe, die niemand für ein paar arme Frauen und Kinder von den Scheidebänken zahlen würde. Aber wie von Lukas beabsichtigt, sorgte sie für helle Aufregung bei Bertholds Gefolgschaft, die ganz gewiss vor allem für Beute aufgebrochen war.
Er sah noch einmal kurz zum Dach und rief: »Beim Heiligen Petrus!«
Das war das Stichwort für den Angriff, das er an seine Männer ausgegeben hatte, und auch Peter und seine Bande auf dem Dach reagierten wie erhofft. Sie sprangen in die Gruppe der Geiselnehmer hinein und rissen sie um, während Lukas und seine Männer sofort die berittenen Gegner angriffen und zielstrebig Richtung Burg trieben, weg von den Geiseln.
Verbissen kämpfte Lukas, mit Boris an einer Seite, Daniel an der anderen, und vertraute darauf, dass sich die anderen um das Fußvolk kümmerten und die Frauen und Kinder heraushauten.
Nach kurzem, aber blutigem Gefecht war die gegnerische Reiterei besiegt; Boris hatte mühelos Conrad bezwungen, Lukas Berthold, der fliehen wollte, jedoch keine Chance hatte zu entkommen.
Sofort wandte sich Lukas der Gruppe mit den Geiseln zu. Aber zu spät.
Das Bild, das sich ihm bot, würde er nie vergessen.
Von allen Seiten strömten Stadtbürger und fielen mit Knüppeln, Messern, Heugabeln über die Kerle her, die sich an ihren Frauen und Kindern vergreifen wollten, hieben und stachen mit Wutgebrüll auf sie ein.
Selbst wenn er sie hätte aufhalten wollen – er hätte es nicht gekonnt.
Sogar ein paar der Frauen von den Scheidebänken griffen nach den Waffen ihrer gestürzten Peiniger, traten oder schlugen um sich.
Die alte Elfrieda hieb einem stämmigen Kerl im Kettenhemd den Schürhaken über den Kopf, der Mann der gehenkten Krämerin stach derb fluchend mit einem Messer auf jemanden ein, der Gürtler ließ einen Knüppel mit aller Wucht auf einen bärtigen Fremden niedersausen.
Johanna hastete herbei und zog die Kinder aus dem Kampfgewühl. Doch ein paar der Größeren rannten zurück und ließen ihre Wut und ihr nachträgliches Entsetzen mit Fußtritten an den am Boden Liegenden aus.
Selbst wenn Lukas schreien würde – sie würden ihn in dem Lärm und in ihrem maßlosen Zorn nicht hören.
Also richtete er den Blick auf das Kampffeld hinter sich, das mit Leichnamen und Pferdekadavern übersät war. Mehrere Hengste wälzten sich verletzt am Boden und versuchten vergeblich, wieder aufzukommen. Boris und Daniel waren dabei, ein paar Gegner in Fesseln zu legen. Lukas hielt Ausschau nach Bertram, konnte ihn aber nicht entdecken – und dann sah er Kuno, der mit schmerzverzerrtem Gesicht neben dem Leichnam seines Freundes hockte und sich vergeblich mühte, ihm ein Lebenszeichen zu entlocken.
Nicht weit davon entdeckte Lukas noch einen Toten unter den eigenen Leuten: Jakob, seinen Neffen. Mit Eiseskälte im Herzen stieg er aus dem Sattel. Aber die klaffende Wunde am Hals ließ schon aus der Entfernung erkennen, dass keine Hoffnung mehr bestand.
Inzwischen war beinahe Stille eingetreten, die nur noch von einzelnen Schreien des Schmerzes und der Verzweiflung zerrissen wurde.
Lukas hinkte dorthin, wo die Geiseln gestanden hatten. Sein linkes Bein war verletzt. Während er mit einem von Giselberts Rittern kämpfte, hatte ihn ein zweiter Angreifer von der Seite attackiert und ihm einen klaffenden Schnitt beigebracht. Das Kettengeflecht war aufgesprengt, das Beinpolster darunter ein Stück weit aufgeschlitzt, Blut sickerte durch den Stoff.
Fünf der Geiseln waren tot, zwei Kinder und drei ältere Frauen. Die anderen hatten sich retten können und standen nun schluchzend in Johannas und Claras Obhut, die sich bemühten, sie irgendwie zu beruhigen. Eine Frau in ärmlicher Kleidung sank über einem toten Mädchen zusammen, eine andere umfasste sie bei den Schultern, während ihr Tränen übers Gesicht liefen.
»Danke für eure Tapferkeit!«,
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