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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Ebene dar.
    Einige Tage später berichtete der britische Geschäftsträger, der peruanische Außenminister habe ihm in einem Gespräch unter vier Augen gestanden, Präsident Leguía sehe sich in einer heiklen Lage. Die Kolumbianer hätten ihre militärischen Stützpunkte an der Grenze zu Putumayo verstärkt, und augenblicklich hinderten nur die Präsenz der Gesellschaft Julio C. Aranas und deren Sicherheitskräfte die Kolumbianer daran, die Region zu besetzen. Die Forderungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens seien aus peruanischer Sicht insofern absurd, als eine Schließung oder strafrechtliche Verfolgung der Peruvian Amazon Company schlichtweg bedeuten würde, Kolumbien das Gebiet zu überlassen. Kein peruanischer Regierungschef könne so etwas tun, ohne dabei politischen Selbstmord zu begehen. Und Peru verfüge kaum über die Mittel, im fernen Putumayo einen ausreichend großen militärischen Stützpunkt einzurichten, um das Staatsgebiet zu verteidigen. Lucien Gerome fügte hinzu, dies alles gebe keinen Anlass zu der Hoffnung, dass die peruanische Regierung über vage Erklärungen und bloße Gesten hinaus wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen würde.
    Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung und bevor die Regierung Seiner Majestät den Bericht über Putumayo veröffentlichen und von der Volksgemeinschaft Sanktionen gegen Peru fordern würde, beschloss das Foreign Office, Roger erneut ins Amazonasgebiet zu entsenden, damit er sich persönlich vergewissere, ob ein Untersuchungsverfahren in Gang sei und ob Richter Valcárcel tatsächlich rechtliche Schritte eingeleitethabe. Sir Edward Grey bat Roger so inständig, dass der nicht ablehnen konnte, allerdings drängte sich ihm dabei ein Gedanke auf, der ihm in den darauffolgenden Monaten noch oft in den Sinn kommen sollte: ›Ich werde bei dieser verfluchten Reise draufgehen.‹
    Roger war mitten in den Vorbereitungen für diese neue Mission, als Omarino und Arédomi in London eintrafen. Während der fünf Monate in Barbados hatten sie ein wenig Englisch, Lesen und Schreiben gelernt und sich an die westliche Kleidung gewöhnt. Roger musste jedoch bald erkennen, dass die beiden Jungen in ihrem neuen zivilisierten Leben zwar keinen Hunger mehr litten und weder geschlagen noch ausgepeitscht wurden, dafür aber einen traurigen, verängstigten Eindruck machten. Sie waren ständig von fremden Menschen umringt, die sie begutachteten, ihnen prüfend über die Haut strichen und ihnen unverständliche Fragen stellten.
    Roger nahm sie mit in den Zoo, zum Eisessen in den Hyde Park, auf Besuch zu seiner Schwester Nina und seiner Cousine Gee und zu einem der Abende mit Künstlern und Intellektuellen bei Alice Stopford Green. Alle behandelten sie sehr freundlich, doch die Neugierde, mit der man sie betrachtete, vor allem, wenn sie ihre Hemden ausziehen und die Narben auf ihren Rücken und Hinterteilen herzeigen sollten, bedrückte die Jungen. Manchmal bemerkte Roger, dass sie Tränen in den Augen hatten. Er hatte vorgehabt, sie nach Irland in die am Rande Dublins gelegene, zweisprachige Schule St. Enda’s zu schicken, deren Direktor Patrick Pearse er gut kannte, ein Pädagoge, Autor, Dichter, militanter Katholik und radikaler Nationalist. Roger hatte dort einmal einen Vortrag über Afrika gehalten und unterstützte mit regelmäßigen Spenden die Arbeit Pears’, der nicht nur durch sein Schulprojekt, sondern auch als Mitglied der Gälischen Liga und durch publizistische Arbeiten für die Verbreitung der altirischen Sprache eintrat. In einem Brief schilderte Roger ihm die Herkunft der beiden Jungen. Pearse willigte ein, sie aufzunehmen, bot sich sogar an, für sie das Schulgeld zu senken. Doch als Roger diese Antworterhielt, hatte er bereits beschlossen, Omarinos und Arédomis tägliche Bitten zu erhören und sie zurück ins Amazonasgebiet zu schicken. Beide waren in England zutiefst unglücklich, wo sie sich wie menschliche Kuriositäten vorkamen, die Überraschung, Vergnügen, Ergriffenheit und manchmal Erschrecken auslösten, von ihren Betrachtern jedoch niemals als ihresgleichen, immer nur als exotische Fremdlinge behandelt wurden.
    Auf seiner erneuten Reise nach Iquitos beschäftigte die unbegreifliche Widersprüchlichkeit der menschlichen Seele Roger sehr. Beide Jungen hatten der Hölle des Amazonas entkommen wollen, wo sie misshandelt worden waren und wie Tiere hatten arbeiten müssen. Er hatte alles in seiner Macht Stehende für sie getan, hatte einen Teil seines

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