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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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die Fähigkeit abhandengekommen war (sollte sie jemals vorhanden gewesen sein), zwischen Gut und Böse, zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit zu unterscheiden.
    Dieser leicht füllige, geschniegelte kleine Mann war also der Herrscher über ein Reich mit den Ausmaßen eines europäischen Staates, der so verehrte wie gefürchtete Gebieter über Leben und Besitz Zehntausender Menschen, der im Amazonasgebiet, in dieser Welt der Elenden, ein immenses Vermögen gemacht hatte. Und das, nachdem er als kleiner Junge in dem gottverlassenen Dorf im peruanischen Hochwald, das Rioja damals vermutlich war, von Haustür zu Haustür gezogen war, um Strohhüte zu verkaufen, die in seiner Familie geflochten wurden. Obwohl er nur wenige Jahre die Schule besucht hatte, stieg er durch übermenschliche Willenskraft, einen genialischen Geschäftssinn und völlige Skrupellosigkeit in der gesellschaftlichen Hierarchie unaufhaltsam auf. Vom Hausierer, der im weiten Amazonasgebiet Hüte verscherbelte, zum Auftraggeber jener armseligen Kautschuksammler, die sich auf eigene Gefahr in den Busch begaben, von ihm ausgerüstet, wofür er mit einem bestimmten Anteil an ihrer Ernte beteiligt war, die er in Iquitos und Manaus an Fabrikanten und Exporteure verkaufte. Anfangs arbeitete er mit kolumbianischen Kautschukunternehmern zusammen, die ihm jedoch nach und nach, weil sie entweder nicht so gewitzt oder weniger geschäftstüchtig oder amoralisch waren wie er, ihr Land, ihre Depots und ihre eingeborenen Arbeiter für einen Spottpreis überließen und manchmal selbst in seine Dienste treten mussten. Misstrauisch, wie er war, setzte Arana seine Brüder und Schwäger in den Schlüsselpositionen des Unternehmens ein, das inzwischen zwar ungemein gewachsen und seit 1908 an der Londoner Börse notiert war, praktisch aber weiter wie ein Familienbetrieb geführt wurde. Wie groß war sein Vermögen wirklich? Was man gerüchteweise hörte, war sicherlich übertrieben, doch der Hauptsitz der Peruvian Amazon Company befand sich in einem noblen Gebäude mitten in der Londoner City, und Aranas Wohnhaus in der Kensington Road stand den umliegenden Palästen der Fürsten und Bankiers in nichts nach. Seine Villa in Genf und seine Sommerresidenz in Biarritz waren von bekannten Dekorateuren eingerichtet und mitteuren Gemälden und Kunstgegenständen ausgestattet. Ihm selbst sagte man jedoch einen asketischen Lebensstil nach, dass er weder trinke noch spiele, auch keine Geliebten habe und jede freie Minute seiner Frau widme. Er hatte sich in sie verliebt, als er noch ein Junge in Rioja war, wo sie beide aufgewachsen waren, doch Eleonora Zumaeta, die Schullehrerin in ihrem gemeinsamen Geburtsort wurde, hatte seinen Antrag erst viele Jahre später angenommen, als er bereits wohlhabend und mächtig war.
    Am Ende des Treffens ließ Julio C. Arana durch seinen Dolmetscher versichern, das Unternehmen werde alles Nötige veranlassen, um die Mängel oder Unzulänglichkeiten in den Kautschukstationen in Putumayo unverzüglich zu beheben. Es sei stets die Politik seines Unternehmens gewesen, sich an der Gesetzgebung und altruistischen Moral Großbritanniens zu orientieren. Darauf verabschiedete er sich mit einem Kopfnicken von Roger, ohne ihm die Hand zu reichen.
    Der Bericht über Putumayo nahm Roger anderthalb Monate in Anspruch. Er begann ihn in einem Büro des Foreign Office zu schreiben, wo ein Stenograf zur Verfügung stand, setzte die Arbeit dann aber in seiner Wohnung in Philbeach Gardens fort, unweit der schönen kleinen Kirche St Cuthbert with St Matthias, die er manchmal besuchte, um den ausgezeichneten Organisten spielen zu hören. Auch zu Hause war jedoch bald kein ruhiges Arbeiten mehr möglich. Politiker, Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten suchten ihn auf, da sich, nicht zuletzt durch spekulative Zeitungsartikel, herumgesprochen hatte, dass sein Bericht über Putumayo ebenso unverblümt sein würde wie der über den Kongo. Schließlich bat er das Foreign Office um Erlaubnis, sich nach Irland begeben zu dürfen.
    In Dublin bezog er Quartier im Hotel Buswells, in der Molesworth Street, wo er Anfang März 1911 den Schlusspunkt setzte. Kurz darauf erreichten ihn die Glückwünsche seiner Vorgesetzten und Kollegen. Sir Edward Grey persönlich lobte den Bericht und schlug einige kleinere Änderungenvor. Das Dokument wurde sogleich an die Regierung der Vereinigten Staaten übermittelt. Es war vorgesehen, dass London und Washington

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