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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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bescheidenen Besitzes darauf verwandt, ihre Überfahrt nach Europa zu bezahlen und in den vorangegangenen sechs Monaten für sie aufzukommen, in dem Glauben, sie auf diese Weise zu retten, ihnen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Und dann waren sie in England, wenn auch aus anderen Gründen, dem Glück oder zumindest einem erträglichen Leben so fern gewesen wie in Putumayo. Man schlug sie nicht, brachte ihnen vielmehr Zuneigung entgegen, und trotzdem fühlten sie sich fremd und einsam, weil sie ahnten, dass sie niemals zu dieser Welt gehören würden.
    Kurz vor Rogers Abreise ernannte das Foreign Office auf seinen Rat hin einen neuen Konsul für Iquitos: George Michell. Eine wunderbare Wahl! Roger hatte Michell im Kongo kennengelernt, wo er voller Einsatz bei der Kampagne mitgewirkt hatte, die Verbrechen unter der Herrschaft von Leopold II. aufzudecken. Er stand der kolonialen Unternehmung ebenso kritisch gegenüber wie Roger. Sollte es nötig sein, würde Michell nicht zögern, sich dem Hause Arana entgegenzustellen. Sie führten lange Gespräche und vereinbarten eine enge Zusammenarbeit.
    Am 16. August 1911 stach die Magdalena mit Roger, Omarino und Arédomi an Bord von Southampton aus in See. Zwölf Tage später erreichte das Schiff Barbados. Als sich rings umdas Schiff das silberblaue Karibische Meer erstreckte, fühlte Roger, wie sein sexuelles Verlangen wiedererwachte und seine Fantasie anregte. In seinem Tagebuch hielt er diesen Zustand mit drei Worten fest: »Ich brenne wieder.«
    Kaum war er von Bord, begab er sich zu Pater Smith und dankte ihm für die Fürsorge, die er den beiden Jungen hatte zuteilwerden lassen. Es bewegte ihn zu sehen, wie Omarino und Arédomi, die in London so zurückhaltend gewesen waren, den Geistlichen innig umarmten. Pater Smith nahm sie zu einem Besuch im Konvent der Ursulinen mit. In dem stillen Klosterhof voller Johannisbrotbäumchen und violetten Bougainvilleabüschen, wo kein Straßengeräusch zu hören war und die Zeit stillzustehen schien, entfernte Roger sich von den anderen und setzte sich auf eine Bank. Er beobachtete Ameisen, die ein Blatt geschultert trugen wie Altarträger bei den Madonnenprozessionen in Brasilien, als er sich plötzlich erinnerte, dass es sein Geburtstag war. Siebenundvierzig Jahre! Besonders alt konnte man das noch nicht nennen. Andere in seinem Alter waren im Vollbesitz ihrer körperlichen und geistigen Kräfte, hatten Energie, Sehnsüchte und Pläne. Er hingegen fühlte sich alt und war von einer flauen Ahnung überkommen, in die letzte Etappe seines Lebens eingetreten zu sein. Mit Herbert Ward hatte er einmal darüber gesprochen, wie wohl ihre letzten Lebensjahre aussehen würden. Ward hatte sich im Alter in einem Landhaus am Mittelmeer gesehen, in der Provence oder in der Toskana. Mit einem weitläufigen Atelier und vielen Katzen, Hunden, Enten und Hühnern, wo er selbst sonntags für die ganze Familie große Töpfe Bouillabaisse kochen würde. Ganz anders Roger, der, von einer plötzlichen Gewissheit überkommen, ausrief: »Ich werde nicht alt, das weiß ich.« Lebhaft erinnerte er sich an diese Vorahnung und spürte sie auch jetzt wieder: Er würde nicht alt werden.
    Am Tag nach der Ankunft ging Roger in die öffentlichen Bäder, die er von seiner letzten Durchreise her kannte. Wie erhofft, traf er auch diesmal auf athletische junge Männer, dennso wenig wie in Brasilien schämten die Menschen sich hier ihrer Körper. Ein Halbwüchsiger von fünfzehn oder sechzehn Jahren verwirrte ihn besonders. Er hatte den matt schimmernden Hautton der Mulatten, große grüne Augen und einen herausfordernden Blick. Er trug eine enge Badehose, und seine schmalen, definierten Beine machten Roger schwindlig. Die Erfahrung hatte seine Intuition dafür geschärft, an beinahe unmerklichen Zeichen – einem angedeuteten Lächeln, einem bestimmten Augenaufschlag, einer einladenden Bewegung  – rasch zu erkennen, ob der andere begriff, was er von ihm wollte, und ob er bereit war, darauf einzugehen oder zumindest zu verhandeln. Es versetzte Roger einen Stich, dass der schöne Junge gleichgültig für seine werbenden Blicke blieb. Dennoch sprach er ihn an. Sie unterhielten sich kurz. Er war der Sohn eines barbadischen Pastors und wollte Buchhalter werden. Er studierte an einer Handelsschule und würde seinen Vater bald auf eine Reise nach Jamaika begleiten. Roger lud ihn auf ein Eis ein, doch der Junge lehnte ab.
    Zurück im Hotel notierte er in sein Tagebuch,

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