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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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des Zimmers die zarte Gestalt seiner Mutter ab.
    Am 22. September fuhren Roger, Omarino und Arédomi auf der Hilda , einem heruntergekommenen Dampfschiff der Booth Line, von Pará nach Manaus weiter. Die sechs Tage der Fahrt wurden für Roger zur Qual. Seine Kabine war eng, alles war schmutzig, das Essen schlecht, und von Einbruch der Nacht bis in die Morgenstunden plagten Schwärme von Moskitos die Passagiere.
    Kaum waren sie in Manaus angelangt, machte sich Roger auf die Jagd nach den flüchtigen Vorstehern. In Begleitung des britischen Konsuls suchte er den Gouverneur Dos Reis auf, der ihm bestätigte, er habe in der Tat einen Haftbefehl von der Zentralregierung in Petrópolis erhalten, um Montt und Fonseca festzunehmen. Doch warum war das noch nicht geschehen? Der genannte Grund hörte sich für Roger nach einer idiotischen Ausrede an: Sie hätten Rogers Ankunft abwarten wollen. Ob sie die Verhaftung dann jetzt unverzüglich vornehmen könnten, bevor die beiden Vögel ausflögen? Noch heute werde man das tun.
    Der Konsul und Roger mussten den aus Petrópolis gekommenen Haftbefehl zweimal zwischen Amtssitz und Polizei hin- und hertragen, bis der Polizeichef endlich zwei Beamte losschickte, um Montt und Fonseca beim Hafenzoll verhaften zu lassen.
    Am nächsten Morgen kam der Konsul mit betrübter Miene zu Roger und erzählte ihm, der Festnahmeversuch habe einen grotesken Ausgang genommen. Der Polizeichef selbst habe es ihm soeben mitgeteilt und sich mehrmals bedauernd entschuldigt. Die beiden Polizisten, die Montt und Fonseca in Gewahrsam nehmen sollten, kannten die beiden, und bevor sie sie aufs Polizeirevier mitgenommen hätten, seien sie noch ein Bier mit ihnen trinken gegangen. Dies sei zu einem großen Saufgelage ausgeufert, in dessen Verlauf die Festzunehmenden geflüchtet seien. Da man nicht ausschließen könne, dass die beiden Polizisten bestochen worden seien, um sie laufen zu lassen, säßen sie vorläufig in Haft. Sollte sich der Korruptionsverdacht bestätigen, drohten ihnen harte Strafen. »Es tutmir leid, Sir Roger«, sagte der Konsul, »aber offen gesagt, war ich auf etwas in der Art gefasst. Sie haben als Diplomat in Brasilien gearbeitet, Sie wissen das nur zu gut. Hier sind solche Dinge gang und gäbe.«
    Der Verdruss verschlimmerte Rogers körperliche Beschwerden. Die übrige Zeit bis zur Abfahrt des Schiffes nach Iquitos verbrachte er mit Fieber und Gliederschmerzen beinahe ausschließlich im Bett. Eines Nachmittags, während er gegen schwere Ohnmachtsgefühle ankämpfte, schrieb er in sein Tagebuch: »Drei Liebhaber in einer Nacht, darunter zwei Matrosen. Sechsmal haben sie es mir besorgt! Breitbeinig wie eine Gebärende bin ich ins Hotel zurückgewankt.« Das war so ungeheuerlich, dass er trotz seiner üblen Laune laut auflachen musste. Er, der formvollendete, eloquente Roger Casement, wurde bei seinen Tagebucheinträgen immer wieder von dem Drang überwältigt, die derbsten Obszönitäten zu Papier zu bringen. Aus irgendeinem ihm nicht ganz ersichtlichen Grund tat ihm das gut.
    Die Hilde legte am 3. Oktober ab, und nach einer hindernisreichen Fahrt mit sintflutartigen Regenfällen, bei der sie auch eine kleine Palisade rammten, kamen sie am Morgen des 6. Oktober 1911 in Iquitos an. Am Hafen erwartete sie Stirs, den Hut in der Hand. Sein Nachfolger George Michell sollte bald in Begleitung seiner Gattin eintreffen. Der Konsul war auf der Suche nach einem Haus für die beiden. Diesmal wohnte Roger nicht bei ihm, sondern im Hotel Amazonas in der Nähe der Plaza de Armas. Stirs nahm Omarino und Arédomi fürs Erste bei sich auf. Die Jungen wollten in der Stadt bleiben und als Hausangestellte arbeiten, statt nach Putumayo zurückzukehren. Stirs versprach ihnen, sich nach einer Stellung bei einer Familie umzuhören, die sie gut behandeln würde.
    Wie Roger nach dem brasilianischen Vorspiel befürchtet hatte, gab es auch in Iquitos keine besonders erbaulichen Neuigkeiten. Stirs wusste nicht, wie viele der zweihundertsiebenunddreißig leitenden Angestellten der Gesellschaft Arana,gegen die Richter Valcárcel auf den Bericht von Rómulo Paredes hin einen Haftbefehl ausgestellt hatte, tatsächlich festgenommen worden waren. Er habe es nicht herausfinden können, da in Iquitos ein seltsames Stillschweigen über diese Angelegenheit wie auch den Aufenthaltsort von Richter Valcárcel herrsche. Seit mehreren Wochen sei er unauffindbar. Der Geschäftsführer der Peruvian Amazon Company , Pablo Zumaeta, der

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