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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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als er die Richter aufsuchte und fragte, wann sie die Akten einsehen würden. Dies geschehe »nach strikter Reihenfolge des Eingangs der Fälle«, wurde ihm erklärt. Ein ganzer Stapel Akten sei zu bearbeiten, bevor man an die komme, »die Sie interessieren«. Einer der Gerichtsassistenten erlaubte sich, spöttisch hinzuzufügen:
    »Die Justiz hierzulande ist zuverlässig, aber langsam, Herr Konsul. Solche Formalitäten können manchmal Jahre dauern.«
    Pablo Zumaeta dirigierte aus seinem angeblichen Versteck die juristische Offensive gegen Richter Valcárcel, indem er über Strohmänner etliche Anzeigen wegen Rechtsbeugung, Unterschlagung, Falschaussage und anderer Vergehen erstatten ließ. Eines Morgens erschien im Polizeirevier von Iquitos eine Bora-Indiofrau mit ihrer kleinen Tochter und in Begleitung eines Dolmetschers, um Richter Valcárcel wegen Verführungeiner Minderjährigen anzuzeigen. Der Richter musste einen Großteil seiner Zeit darauf verwenden, sich gegen diese Verleumdungen zu verteidigen, auszusagen, von einer Stelle zur nächsten zu hetzen und offizielle Mitteilungen zu schreiben, und er konnte sich kaum noch der Untersuchung widmen, um derentwillen er in den Urwald gekommen war. Er wurde zur Zielscheibe des Hasses. Aus dem kleinen Hotel El Yurimaguas, in dem er wohnte, warf man ihn hinaus. In keiner Pension der Stadt wagte man mehr, ihn aufzunehmen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ein winziges Zimmer in Nanay zu mieten, einem Elendsviertel, dessen Straßen voller Müll und Brackwassertümpel waren, wo nachts die Ratten unter seiner Hängematte herumhuschten und er auf Kakerlaken trat.
    All das rekonstruierte Roger aus verschiedenen Bemerkungen, die ihm hier und da zugewispert wurden. Seine Bewunderung für den Richter vermehrte das alles, und gern hätte er ihm die Hand geschüttelt und ihn zu seinem Anstand und Mut beglückwünscht. Was war wohl aus ihm geworden? Das Einzige, was er mit Gewissheit festhalten zu können meinte, obwohl das Wort »Gewissheit« in Iquitos keine besonders tiefen Wurzeln zu haben schien, war der Umstand, dass Richter Valcárcel bereits verschwunden war, als von Lima aus seine Absetzung beschlossen wurde. Seitdem fehlte von Valcárcel jede Spur. Hatte man ihn ermordet? Die Geschichte des Journalisten Benjamín Saldaña Roca wiederholte sich. Die Feindseligkeit gegen Valcárcel hatte solche Ausmaße angenommen, dass ihm nichts anderes übriggeblieben war, als zu fliehen. Bei einem zweiten Gespräch, diesmal im Haus von Stirs, sagte Rómulo Paredes zu Roger:
    »Ich selbst habe Richter Valcárcel geraten, zu verschwinden, bevor sie dafür gesorgt hätten, dass er verschwindet, Sir Roger. Es hatte schon genügend Warnungen gegeben.«
    Warnungen welcher Art? Provokationen in den Restaurants und Bars, zum Beispiel, wo er zu essen oder ein Bier zu trinken pflegte. Ein Betrunkener, der ihn plötzlich beschimpfteund ihn mit einer obszönen Geste zum Streit herausforderte. Wenn der Richter bei der Polizei oder in der Präfektur Anzeige erstatten wollte, ließ man ihn endlos lange Formulare ausfüllen, auf denen die Vorfälle in allen Einzelheiten beschrieben werden mussten, und versicherte ihm, man werde »seiner Beschwerde nachgehen«.
    Bald fühlte sich Roger, wie Richter Valcárcel sich gefühlt haben musste, ehe er aus Iquitos geflüchtet oder von einem der Schergen Aranas aus dem Weg geräumt worden war: allerorts belogen, zum Narren gemacht von einer Gesellschaft aus Marionetten, deren Fäden die Peruvian Amazon Company zog.
    Roger hatte sich vorgenommen, noch einmal nach Putumayo zu fahren, stand es auch außer Frage, dass dort, wenn Aranas Unternehmen selbst hier in der Stadt die Sanktionen umgehen und angekündigte Reformen hatte unterlassen können, alles beim Alten geblieben oder noch schlimmer geworden war, weil man es nur mit Eingeborenen zu tun hatte. Rómulo Paredes, Stirs und Präfekt Gamarra taten alles, um Roger von seinen Reiseplänen abzubringen.
    »Sie würden dort nicht lebendig herauskommen, und Ihr Tod würde niemandem etwas nutzen«, versicherte ihm Paredes. »Señor Casement, ich bedauere, Ihnen das sagen zu müssen, aber Sie sind der meistgehasste Mann in ganz Putumayo. Weder Saldaña Roca noch der Amerikaner Hardenburg noch Richter Valcárcel werden dort so verabscheut wie Sie. Ich kam nur durch ein Wunder aus Putumayo zurück. Aber dieses Wunder wird sich nicht wiederholen, zumal wenn Sie es darauf anlegen, dort gekreuzigt zu werden. Wissen Sie,

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