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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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sich in der Dämmerung ein barfüßiger junger Blumenverkäufer Roger förmlich an, als er ihn nach dem Preis eines Rosensträußleins fragte, das der Verkäufer in der Hand hielt. Sie zogen sich auf ein dunkles Stück Brachland zurück, wo Roger das Stöhnen anderer Paare hörte. Diese improvisierten, riskanten Abenteuer löstenwidersprüchliche Gefühle in ihm aus, erregten und ekelten ihn zugleich. Der Blumenverkäufer roch nach Achselschweiß, doch sein heißer Atem, die Wärme seines Körpers und die Kraft seiner Umarmung heizten Roger an, und schnell kam er zum Höhepunkt. Als er später das Hotel do Comercio betrat, bemerkte er, dass seine Hose fleckig und voller Erde war und der Rezeptionist ihn verunsichert anblickte. »Ich wurde überfallen«, sagte Roger zur Erklärung.
    Am nächsten Abend kam es an der Praça do Palacio zu einer weiteren Begegnung, diesmal mit einem Jungen, der ihn um ein Almosen bat. Sie gingen ein paar Schritte zusammen und tranken ein Glas Rum an einem Straßenstand. Dann begleitete er João zu dessen Blechhütte in einem Elendsviertel. Die Hunde bellten, während sie sich auszogen und im Dunkeln auf einer über die nackte Erde ausgebreiteten Bambusmatte liebten. Roger war darauf gefasst, jeden Moment ein Messer an den Hals gesetzt oder einen Knüppel über den Kopf gezogen zu bekommen. Auf solche Fälle vorbereitet, hatte er weder seine Uhr noch seinen goldenen Füller eingesteckt und kaum Geld dabei, gerade ein paar Scheine und Münzen, um einen möglichen Dieb abzuspeisen. Doch nichts dergleichen geschah. João begleitete ihn bis in die Nähe seines Hotels zurück und biss ihm zum Abschied lachend in die Lippe. Am nächsten Tag stellte Roger fest, dass entweder João oder der Blumenverkäufer ihm Filzläuse beschert hatten. Er musste sich in einer Apotheke Kalomel besorgen, was nie besonders angenehm war, da der jeweilige Apotheker – oder, schlimmer noch, die Apothekerin – ihn entweder betreten oder komplizenhaft angrinste, was Roger ebenso beschämte wie erzürnte.
    Die schönsten, wenn auch wehmütigsten Momente seiner zwölf Tage in Pará erlebte er bei seinem Treffen mit dem Ehepaar Da Matta. Junio, Ingenieur von Beruf, und dessen Frau Irene, eine Aquarellmalerin, waren während seiner Konsularzeit seine engsten Freunde gewesen. Beide waren jung, schön, fröhlich, ungezwungen und sprühten vor Lebensfreude. Ihre kleine Tochter María war entzückend mit ihren großen wachenAugen. Roger hatte sie bei einer privaten Gelegenheit oder einem offiziellen Anlass kennengelernt, denn Junio arbeitete für das regionale Bauamt. Sie hatten sich oft getroffen, waren am Fluss entlangspaziert, ins Kino oder Theater gegangen. Voller Freude begrüßten Junio und Irene ihren alten Freund. Gemeinsam besuchten sie ein Restaurant mit bahianischer Küche, und die inzwischen fünfjährige María tanzte für ihn und sang dazu mit verschmitztem Lächeln.
    In dieser Nacht wurde Roger in seinem Bett im Hotel do Comercio, als er wieder einmal keinen Schlaf fand, von der Schwermut überkommen, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatte und ihm nach sexuellen Episoden besonders zusetzte. Traurig konstatierte er, dass er niemals ein Zuhause haben würde, wie es die Da Mattas hatten, dass sich sein Leben mit zunehmendem Alter immer einsamer ausnehmen würde. Die wenigen Minuten gekaufter Liebe kamen ihn teuer zu stehen. Er würde sterben, ohne dieses innige Zusammensein mit einer Ehefrau gekannt zu haben, mit der man den Tag bespricht, Reisen und die Zukunft plant, Träume hegt; ohne Söhne gehabt zu haben, die seinen Namen und sein Andenken weitertragen würden, wenn er einmal nicht mehr wäre. Er würde alt werden – sollte er es denn werden – wie ein herrenloses Tier. Und ebenso kläglich, denn verdiente er als Diplomat auch ein anständiges Gehalt, hatte er nie etwas beiseitegelegt, war immer alles, was er erübrigen konnte, an Menschenrechtsvereine oder Organisationen gegangen, die sich für die Pflege des irischen Kulturguts engagierten.
    Mehr noch verbitterte ihn der Gedanke, dass er sterben würde, ohne wahre, erwiderte Liebe erfahren zu haben, wie Junio und Irene sie füreinander empfanden, diese stillschweigende Verschworenheit, die zwischen ihnen zu spüren war, wenn sie zärtlich Hand in Hand dasaßen oder über die theatralische Darbietung der kleinen María lächelten. Wie immer, wenn er niedergeschlagen war, lag er lange wach, und als er endlich einschlief, hob sich aus den Schemen

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