Der Traum des Kelten
gegenüber zeigte er sich außerordentlich herzlich. Als Roger ihm zu seinem Roman Herz der Finsternis gratulierte, den er gerade gelesen hatte und der ihn – so sagte er es Conrad – zutiefst bewegt hatte, weil man die Gräuel, die sich im Kongo zutrugen, nicht eindrücklicher hätte beschreiben können, unterbrach ihn der Schriftsteller mit einer Handbewegung.
»Sie müssten als Mitautor auf diesem Buch stehen, Casement«, sagte er und klopfte ihm auf die Schulter. »Ohne Ihre Hilfe hätte ich das nie geschrieben. Sie haben mir die Augen geöffnet. Was Afrika, den Kongo-Freistaat betrifft. Was die Bestie im Menschen betrifft.«
Als sie einmal nach Tisch zu zweit zusammensaßen – die diskrete Mrs. Conrad, eine Frau bescheidener Herkunft, hatte sich mit dem Kind zurückgezogen –, sagte Conrad nach einem zweiten Glas Porto, Roger verdiene sich für seinen Einsatz zugunsten der kongolesischen Einheimischen den Beinamen »britischer Bartolomé de las Casas«. Roger wurde bis über beide Ohren rot. Wie war es nun möglich, dass jemand, der ihn so schätzte, der ihn und Edmund D. Morel bei ihrer Kampagne gegen Leopold II. so unterstützt hatte, sich weigerte, ein Gesuch zu unterzeichnen, das einzig dazu gedacht war, ihm die Todesstrafe zu ersparen? Wie könnte das Conrad bei der Regierung in Misskredit bringen?
Er erinnerte sich weiterer sporadischer Begegnungen mit Conrad. Einmal trafen sie sich zufällig im Wellington Club am Grosvenor Place, wo Roger mit Kollegen des Foreign Office saß. Der Schriftsteller hatte darauf bestanden, Roger müsse noch einen Cognac mit ihm trinken, wenn er sich von seinen Begleitern verabschiedet hätte. Dabei hatten sie sich an die katastrophale Verfassung erinnert, in der Conrad sechs Monate nach seiner Abreise wieder in Matadi aufgetaucht war, wo Roger nach wie vor Depots und Transportwesen verwaltete. Konrad Korzeniowski war nur noch ein Schatten des begeisterten, optimistischen jungen Mannes gewesen, den Roger ein halbes Jahr zuvor kennengelernt hatte. Er wirkte um Jahre gealtert, war nervlich überspannt, und Parasiten im Magen hatten ihm chronischen Durchfall verursacht, wodurch er erheblich an Gewicht verloren hatte. Verbittert, wie er war, wollte er so schnell wie möglich nach London zurückkehren und von richtigen Ärzten behandelt werden.
»Ich sehe, der Busch ist nicht gerade glimpflich mit Ihnen umgesprungen, Konrad. Aber keine Sorge. Die Malaria braucht eben eine Weile, bis sie ganz verschwindet, auch wenn das Fieber schon abgeklungen ist.«
Sie saßen nach dem Abendessen auf der Terrasse des kleinen Hauses in Matadi, das Roger als Büro und Wohnsitz diente. Es war eine sternenlose Nacht, doch wenigstens regnete esnicht, und das Summen der Insekten lullte sie ein, während sie rauchten und an ihren Gläsern nippten.
»Das Schlimmste war nicht der Dschungel, dieses ungesunde Klima, das Sumpffieber, in dem ich beinahe zwei Wochen dahingedämmert bin«, klagte der Pole. »Nicht einmal diese schreckliche Dysenterie, wegen der ich fünf Tage lang Blut geschissen habe. Das Schlimmste, das Allerschlimmste, Casement, war es, Zeuge der entsetzlichen Dinge zu werden, die in diesem verfluchten Land tagtäglich geschehen. Die von den schwarzen Dämonen und den weißen Dämonen begangen werden, wohin man auch schaut.«
Konrad hatte in seinem kleinen Dampfer Le Roi des Belges eine Fahrt von Léopoldville zu den Stanleyfällen und zurück unternommen. Alles war auf dieser Reise schiefgegangen. Beinahe wäre er ertrunken, weil das Kanu kenterte, in dem die unerfahrenen Ruderer unweit von Léopoldville in einem Wasserstrudel hängen geblieben waren. Die Malaria streckte ihn mit solchen Fieberanfällen in seiner kleinen Kajüte nieder, dass er nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen konnte. Er erfuhr, dass der letzte Kapitän der Roi des Belges bei einem Streit mit Eingeborenen von Pfeilen getötet worden war. Ein anderer Funktionär der belgischen Gesellschaft für den Handel am Oberlauf des Kongos, der in einem abgelegenen Dorf Elfenbein und Kautschuk abholen sollte und dort von Konrad aufgelesen wurde, starb auf der Reise an einer unbekannten Krankheit. Doch es waren nicht die körperlichen Strapazen, mit denen er zu kämpfen gehabt hatte, derentwegen der Pole außer sich war.
»Es ist die allgegenwärtige moralische Korruption in diesem Land, die Korruption der Seelen«, raunte er mit düsterer Stimme, wie im Bann einer apokalyptischen Vision.
»Ich habe versucht, Sie darauf
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