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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Verzweiflung damit trösten zu können, dass eine angesehene Persönlichkeit wie Conrad, den so viele Menschen bewunderten, er selbst eingeschlossen, ihm bei dieser schweren Prüfung beistand und ihm durch diese Unterschrift sein Verständnis und seine Freundschaft bekundete.
    »Du hast ihn vor langer Zeit kennengelernt, nicht wahr?«, fragte Alice, als lese sie seine Gedanken.
    »Vor genau sechsundzwanzig Jahren. Im Juni 1890, im Kongo«, antwortete Roger. »Damals war er noch kein Schriftsteller. Allerdings sprach er von einem Roman, den er gerade begonnen hatte, wenn ich mich recht entsinne. Almayers Wahn vermutlich, sein erstes Buch. Er hat es mir später mit einer Widmung geschickt. Irgendwo muss ich es noch haben. Doch damals hatte er noch nichts veröffentlicht. Er war ein Seemann. Und sein Englisch war wegen seines starken polnischen Akzents kaum verständlich.«
    »Das ist es noch immer nicht«, sagte Alice lächelnd. »Erspricht nach wie vor mit furchtbarem Akzent. Als würde er Kieselsteine zermahlen, wie Bernard Shaw sagt. Aber er schreibt einfach himmlisch.«
    Roger erinnerte sich an jenen Tag im Juni 1890, als der junge Kapitän der britischen Handelsmarine in Matadi eintraf, schwitzend in der Sommerhitze, die empfindliche Haut von Moskitos zerstochen. Der Mittdreißiger mit der hohen Stirn und dem pechschwarzen Bart, den tiefliegenden Augen und dem sehnigen Körper hieß Konrad Korzeniowski, ein Pole, der wenige Jahre zuvor die englische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Die Société Anonyme Belge pour le Commerce du Haut-Congo hatte ihn als Kapitän für eines der Dampfschiffe angeheuert, das Waren und Kaufleute zwischen Léopoldville und den Stanleyfällen hin- und herbeförderte. Es war seine erste Anstellung als Schiffskapitän, und er trat sie voller Enthusiasmus und mit großen Plänen an. Bei seiner Ankunft im Kongo glaubte er fest an die Mythen, die Leopold II. als großen Wohltäter der Menschheit darstellten, der alles tat, um Afrika zu zivilisieren. Der Pole hatte trotz seiner langjährigen Reisen auf den Ozeanen Asiens und Amerikas, seiner Mehrsprachigkeit und seiner Belesenheit etwas unschuldig Kindliches an sich, das Roger sofort für ihn einnahm. Die Sympathie beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn vom Tag ihrer Begegnung bis zu Korzeniowskis Weiterreise nach Léopoldville, wohin er drei Wochen später mit dreißig Trägern über die Karawanenroute aufbrach, um das Kommando seines Schiffes Le Roi des Belges zu übernehmen, sahen sie sich morgens, mittags und abends.
    Sie durchstreiften gemeinsam die Umgebung von Matadi, bis zu den spärlichen Überresten Vivis, der ersten Hauptstadt der Kolonie, und bis zur Mündung des Mpozo, wo die Stromschnellen und Katarakte der Livingstonefälle und der Teufelskessel vier Jahrhunderte zuvor die Weiterfahrt des Portugiesen Diego Cao verhindert hatten. In der Ebene von Lufundi zeigte Roger dem jungen Polen die Stelle, wo Henry Morton Stanley sein erstes Haus auf afrikanischem Boden gebauthatte, das Jahre später bei einem Brand zerstört worden war. Vor allem jedoch unterhielten sie sich über Gott und die Welt und natürlich in erster Linie über das, was sich im soeben gegründeten Kongo-Freistaat zutrug, in dem Roger sich seit sechs Jahren aufhielt. Wenige Tage nach dem Beginn ihrer Freundschaft war Konrads Blick auf das Land ein anderer. Er fühlte sich »entjungfert«, wie er Roger zum Abschied an jenem Samstag, dem 28. Juni 1890, sagen sollte, als er im Morgengrauen in Richtung der Kristallberge aufbrach. »Sie haben mich entjungfert, Casement. Was Leopold II. betrifft, was den Kongo-Freistaat betrifft. Vielleicht, was das Leben betrifft.« Und theatralisch wiederholte er: »Entjungfert.«
    Sie sollten sich während Rogers Aufenthalten in London noch mehrere Male sehen, auch schrieben sie sich einige Briefe. Dreizehn Jahre nach ihrer ersten Begegnung, im Juni 1903, erhielt Roger, der sich gerade in England aufhielt, eine Einladung von Joseph Conrad – der sich inzwischen so nannte und ein berühmter Schriftsteller geworden war –, ein Wochenende in Pent Farm zu verbringen, seinem kleinen Landhaus in Hythe, in der Grafschaft Kent. Der Romancier führte dort mit Frau und Sohn ein zurückgezogenes, genügsames Leben. Roger behielt diese beiden Tage in schöner Erinnerung. Conrad hatte mittlerweile silbrig meliertes Haar und einen dichten Bart, war korpulent geworden und redete mit einer gewissen intellektuellen Herablassung. Doch Roger

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