Der Traum des Kelten
Irisch gelernt zu haben. Sollten sie mich begnadigen, werde ich es endlich tun, und ich verspreche dir, dass wir hier in diesem Besucherraum noch Gälisch reden werden.«
Sie nickte mit einem etwas bemühten Lächeln.
»Das Gälische ist eine schwierige Sprache«, sagte sie und tätschelte ihm den Arm. »Man braucht viel Zeit und Geduld, um es zu lernen. Du hast ein sehr ereignisreiches Leben geführt, mein Lieber. Aber du kannst dich damit trösten, dass wenige Iren so viel für Irland getan haben wie du.«
»Dank dir, liebe Alice. Ich stehe tief in deiner Schuld. Ich danke dir für deine Freundschaft, deine Großherzigkeit, deine Klugheit, deine Bildung. Die Dienstagabende in der Grosvenor Road mit all den außergewöhnlichen Menschen, in dieser angenehmen Atmosphäre. Es sind die schönsten Erinnerungen, die ich habe. Jetzt kann ich es dir sagen, liebste Freundin. Du hast mich die Vergangenheit und Kultur Irlands lieben gelernt. Du warst mir eine großmütige Lehrmeisterin, die mein Leben unendlich bereichert hat.«
Er sprach damit aus, was er stets empfunden und aus Scham immer verschwiegen hatte. Seit er sie kennengelernt hatte, hegte er große Bewunderung und Zuneigung für Alice Stopford Green, und ihre Bücher und Studien über dieVergangenheit Irlands, seine Legenden und Mythen, und das Gälische hatten mehr als alles andere dazu beigetragen, Roger jenen »keltischen Stolz« zu vermitteln, den er mit solcher Inbrunst betonte, dass selbst seine nationalistischen Freunde ihn manchmal damit aufzogen. Er war Alice elf oder zwölf Jahre zuvor begegnet, als er sie um ihre Hilfe für die Congo Reform Association bat, die Roger gemeinsam mit dem britischen Journalisten französischer Abstammung Edmund D. Morel gegründet hatte. Damit begann der öffentliche Feldzug der beiden neuen Freunde gegen Leopold II. und seine machiavellistische Schöpfung, den Kongo-Freistaat. Die Entschiedenheit, mit der Alice der Kampagne beitrat und die Kongogräuel öffentlich anprangerte, brachte viele ihrer Schriftsteller- und Politikerfreunde dazu, sich ebenfalls anzuschließen. Alice nahm Roger unter ihre Fittiche, und wenn er sich in London aufhielt, besuchte er jede Woche den Salon der Schriftstellerin. An diesen Abenden nahmen Professoren, Journalisten, Dichter, Maler, Musiker und Politiker teil, die dem Imperialismus und Kolonialismus ebenfalls kritisch gegenüberstanden und für eine Politik des Home Rule, der autonomen Selbstverwaltung Irlands eintraten oder sogar radikale Nationalisten waren und die Unabhängigkeit für Éire forderten. In den eleganten Räumen des Hauses in der Grosvenor Road, das voll war mit den Büchern des Historikers John Richard Green, Alice’ verstorbenem Ehemann, lernte Roger W. B. Yeats kennen, Sir Arthur Conan Doyle, Bernard Shaw, G. K. Chesterton, John Galsworthy, Robert Cunninghame Graham und viele weitere Schriftsteller, die damals in aller Munde waren.
»Ich habe eine Frage, die ich Gee gestern nicht zu stellen wagte«, sagte Roger. »Hat Conrad das Gesuch unterzeichnet? Weder mein Anwalt noch Gee haben seinen Namen erwähnt.«
Alice schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm selbst geschrieben und ihn um seine Unterschrift gebeten«, sagte sie verstimmt. »Seine Gründe waren konfus. Er hat sich aus politischen Angelegenheiten immer herausgehalten. Vielleicht fühlt er sich als Eingebürgerter nicht sicher. Dazu kommt womöglich, dasser als Pole Deutschland so sehr hasst wie Russland, die beide sein Land über Jahrhunderte unterdrückt haben. Wie dem auch sei, ich weiß es nicht. Wir bedauern es alle sehr. Man kann ein großer Schriftsteller und zugleich ein Feigling in politischen Dingen sein. Das weißt du am allerbesten, Roger.«
Roger nickte. Er bereute seine Frage. Das Wissen um diese fehlende Unterschrift würde ihn jetzt ebenso quälen wie die Mitteilung durch seinen Anwalt Gavan Duffy, dass auch Edmund D. Morel das Gnadengesuch nicht hatte unterschreiben wollen. Sein Freund, sein Bruder Bulldog ! Sein Gefährte im Kampf für die Eingeborenen des Kongos hatte sich auch geweigert, patriotische Pflicht in Kriegszeiten vorschützend.
»Dass Conrad nicht unterschrieben hat, ändert nicht viel«, sagte Alice. »Er hat keinerlei politischen Einfluss auf die Regierung von Asquith.«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Roger.
Vielleicht war es nicht wichtig für den Ausgang des Gesuchs, doch für ihn, tief in seinem Inneren, war es das sehr wohl. Es hätte ihm gutgetan, sich in Momenten der
Weitere Kostenlose Bücher