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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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vorzubereiten, als wir uns kennenlernten«, sagte Roger. »Es tut mir leid, Ihnen nicht konkreter geschildert zu haben, was Sie dort am Oberlauf des Kongos erwarten würde.«
    Was hatte Konrad so entsetzt? Die Entdeckung, dass einigeStämme noch so primitive Praktiken wie Kannibalismus betrieben? Dass es sowohl in den Dörfern als auch in den Handelsstationen nach wie vor Sklaven gab, die für ein paar Francs den Besitzer wechselten? Dass die vorgeblichen Befreier die Kongolesen weitaus grausameren Formen der Unterdrückung und Knechtschaft aussetzten? War es der Anblick der zernarbten Rücken gewesen? Zeuge geworden zu sein, wie ein Mensch bis aufs Blut ausgepeitscht wird? Roger fragte nicht nach Einzelheiten, doch der Kapitän der Roi des Belges hatte fraglos schreckliche Dinge erlebt, ehe er seinen Dreijahresvertrag kündigte, um auf der Stelle nach England zu fahren. Zu alledem war es bei seiner Rückkehr von den Stanleyfällen in Léopoldville noch zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Direktor der Belgischen Gesellschaft für den Handel am Kongo-Oberlauf gekommen, mit Camille Delcommune, den er einen »Barbaren mit Weste und Hut« genannt hatte. Jetzt wollte er nur noch in die Zivilisation zurück, die für ihn von England repräsentiert wurde.
    »Hast du Herz der Finsternis gelesen?«, fragte Roger Alice. »Glaubst du, es ist ein gerechter Blick auf die menschliche Natur?«
    »Vermutlich nicht«, entgegnete Alice. »Als das Buch erschien, haben wir an einem unserer Dienstagabende lange darüber diskutiert. Dieser Roman ist eine Parabel, nach der Afrika die Europäer, die mit zivilisatorischen Absichten dorthin kommen, zu Barbaren macht. Dein Bericht über den Kongo hat das Gegenteil gezeigt. Dass nämlich wir Europäer es waren, die die Barbarei dorthin brachten. Außerdem warst du zwanzig Jahre in Afrika, ohne ein Wilder geworden zu sein. Du bist sogar zivilisierter zurückgekommen, als du aufgebrochen bist, in deinem damaligen Glauben an die Tugenden von Kolonialismus und Imperialismus.«
    »Conrad sagte, im Kongo trete die moralische Korruptheit des Menschen zutage. Die der Weißen und die der Schwarzen. Mir hat Herz der Finsternis viele schlaflose Nächte bereitet. Ich glaube, er beschreibt darin nicht den Kongo. Er beschreibtdarin die Hölle. Der Kongo ist ein Vorwand, um diese schaurige Vision darzustellen, die manche Katholiken von dem absoluten Bösen haben.«
    »Es tut mir leid, Sie unterbrechen zu müssen.« Der Wärter hatte sich zu ihnen umgedreht. »Die Besuchszeit war zehn Minuten, jetzt sind schon fünfzehn um. Sie müssen sich verabschieden.«
    Roger streckte Alice die Hand hin, doch zu seiner Überraschung umarmte sie ihn und zog ihn fest an sich. »Wir werden weiterhin alles tun, um dein Leben zu retten, Roger«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Und er dachte: ›Wenn Alice sich solchen Überschwang erlaubt, muss sie überzeugt davon sein, dass das Gesuch abgelehnt wird.‹
    Zurück in seiner Zelle, überkam ihn große Traurigkeit. Würde er Alice Stopford Green jemals wiedersehen? Sie bedeutete ihm so viel! Niemand sonst verkörperte für ihn so sehr seine Leidenschaft für Irland, seine letzte, innigste, hartnäckigste Leidenschaft, die ihn aufgezehrt hatte und ihm vermutlich den Tod bringen würde. Ich bereue nichts, sagte er sich. Die langen Jahrhunderte der Unterdrückung hatten Irland so viel Leid gebracht, dass es richtig gewesen war, sich für diese edle Sache zu opfern. Auch wenn er zweifelsohne gescheitert war. Sein ausgeklügelter Plan, die Unabhängigkeit von Éire zu beschleunigen, indem man die nationalistische Erhebung mit einer Offensive der Armee und Marine des deutschen Kaiserreichs gegen England koordinierte, war nicht aufgegangen. Und er war auch nicht in der Lage gewesen, den Aufstand aufzuhalten. Sean McDermott, Patrick Pearse, Éamonn Ceannt, Tom Clarke, Joseph Plunkett und etliche andere waren standrechtlich erschossen worden. Hunderte seiner Gefährten würden für weiß Gott wie viele Jahre in Gefängnissen verrotten. Wenigstens würde diese Rebellion ein Exempel statuieren, wie der gescheiterte Joseph Plunkett mit stolzer Entschlossenheit in Berlin gesagt hatte. Ein Exempel für bedingungslose Hingabe, Liebe und Opferbereitschaft, in einem ähnlichen Kampf, wie er ihn im Kongo gegen Leopold  II.und im Amazonasgebiet gegen Julio C. Arana und die Kautschukunternehmer von Putumayo ausgefochten hatte. Ein Kampf für Gerechtigkeit, ein Kampf der Hilflosen gegen die

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