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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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die näselnde Stimme des Sheriffs, der irgendeinem anderen Wärter Befehle erteilte. Und jetzt war es selbst im Gefängnis still. Das versetzte ihn in Angst, lähmte seine Gedanken. Er versuchte, die Lektüre von Thomas von Kempens Nachfolge Christi wiederaufzunehmen, aber einmal mehr musste er das Buch zur Seite legen. Auf ein Gebet konnte er sich ebenso wenig konzentrieren. Lange Zeit lag er reglos und angespannt da und starrte auf einen Punkt an der feuchten Decke, bis er schließlich einschlief.
    Ein wohliger Traum versetzte ihn in den Regenwald des Amazonas zurück, an einen lichten, sonnigen Morgen. Eine sachte Brise wehte über die Brücke des Schiffes und linderte die Hitze. Es gab keine Moskitos, er fühlte sich gut, das quälende Brennen seiner Augen, gegen das sonst weder Tropfen noch die verschriebenen Spülungen ankamen, hatte nachgelassen, die Arthritis verursachte ihm keine Schmerzen, die Hämorrhoiden behelligten ihn nicht, und seine Füße waren abgeschwollen. All die Beschwerden und Krankheiten, die ihm zwanzig Jahre Afrika eingebracht hatten, waren verschwunden. Er war wieder jung und hatte Lust, hier im mächtigen Amazonas eine der Tollheiten aus afrikanischen Zeiten zu begehen: nackt von der Reling in den grünen, von Gräsern und Gischt gesprenkelten Fluss zu springen. Sein Körper würde in das sämige warme Gewässer gleiten, ein göttliches Wohlgefühl würde ihn erfüllen, während er sich wieder an die Oberfläche stieß, auftauchte, die ersten Züge tat und gewandt wie ein Delphin neben dem Boot herschwamm. Von Deck aus würden der Kapitän und mehrere Passagiere ihm Zeichen geben, wieder an Bord zu kommen, aus Furcht, er würde ertrinken oder einer Anakonda zum Opfer fallen, dieser bis zu zehn Meter langen Wasserschlange, die einen Menschen mit Haut und Haar verschlingen konnte.
    Befand er sich in der Nähe von Manaus? Von Tabatinga? Von Putumayo? Von Iquitos? Fuhr er den Fluss hinauf oder hinunter? Ganz gleichgültig. Entscheidend war, dass er sich lange nicht so wohl gefühlt hatte, und während das Schiff langsam durch das grünliche Wasser glitt und das Tuckern des Motors seine Gedanken einlullte, überlegte Roger einmal mehr, wie seine Zukunft aussehen könnte, da er sich nun endlich von der Diplomatie verabschiedet hatte und vollkommen frei war. Er würde die Londoner Wohnung in der Ebury Street aufgeben und nach Irland ziehen. Er würde seine Zeit zwischen Dublin und Ulster aufteilen. Und er würde sich nicht ausschließlich der Politik widmen. Eine Stunde am Tag, einen Tag in der Woche, eine Woche im Monat würde er seinen Studien vorbehalten. Er würde weiter Irisch lernen und Alice eines Tages mit seiner Beherrschung des Gälischen überraschen. Und in der Politik würde er sich auf die übergeordneten, zentralen Ziele konzentrieren – Irlands Unabhängigkeit und den Kampf gegen den Kolonialismus – und es tunlichst vermeiden, seine Zeit mit den kleinlichen Intrigen, Rivalitäten und Eifersüchteleien all der Möchtegernpolitiker zu verschwenden. Er würde gründlich Irland bereisen, lange Wanderungen durch die Glens von Antrim, durch Donegal, Ulster, Galway und abgelegene Gegenden wie die Region von Connemara und Tory Island unternehmen, wo die Fischer des Englischen nicht mächtig waren und nur Gälisch sprachen, er würde sich mit ihnen und den arbeitsamen Bauern und Handwerkern anfreunden, die stoisch die erdrückende Präsenz des Besatzers ertrugen und sich ihre Sprache, ihre Bräuche und ihre Glaubensvorstellungen bewahrt hatten. Er würde ihnen zuhören, von ihnen lernen, Aufsätze und Gedichte über das jahrhundertealte stumme Heldentum dieser einfachen Menschen verfassen, denn es war ihnen zu danken, dass Irland nicht untergegangen, sondern immer noch eine Nation war.
    Ein blechernes Geräusch riss ihn aus diesem schönen Traum. Er schlug die Augen auf. Der Gefängniswärter warhereingekommen und hielt ihm eine Schüssel mit Griessuppe und ein Stück Brot hin, sein Abendessen. Er brockte das Brot in die Suppe und löffelte sie langsam aus. Ein weiterer Tag war vergangen, vielleicht käme es morgen ja zu einer Entscheidung.

X
    Am Vorabend ihrer Abfahrt nach Putumayo entschloss sich Roger, offen mit Stirs zu reden. Während der dreizehn Tage, die er nun in Iquitos war, hatte er viele Unterhaltungen mit dem britischen Konsul geführt, ein Thema jedoch nicht anzuschneiden gewagt. Er wusste, dass seine Mission ihm viele Feinde eingetragen hatte, nicht nur in Iquitos,

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