Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
Vom Netzwerk:
sondern im gesamten Amazonasgebiet; daher sein Zögern, noch eine weitere Person zu verstimmen, die ihm von wertvoller Hilfe sein könnte, sollten sich ernstere Schwierigkeiten mit den Kautschukunternehmern ergeben. Besser, er erwähnte diese scheußliche Geschichte erst gar nicht.
    Doch als sie an jenem Abend im Wohnzimmer des Konsuls ihr Glas Portwein tranken und dem Regen lauschten, der auf das Zinkdach trommelte und gegen die Fenster und auf das Terrassengeländer peitschte, wischte Roger seine Bedenken fort.
    »Was halten Sie von Pater Urrutia, Mr. Stirs?«
    »Dem Superior der Augustiner? Ich habe nicht viel mit ihm zu tun. Im Großen und Ganzen machte er einen guten Eindruck auf mich. Sie haben ihn in diesen Tagen des Öfteren getroffen, nicht wahr?«
    Ahnte der Konsul, dass er sich auf heikles Terrain begab? Seine leicht hervorstehenden Augen blitzten beunruhigt auf. Seine Glatze schimmerte im Schein der Öllampe, die auf dem Tischchen in der Mitte des Raums stand und knisterte. Der Fächer in seiner rechten Hand stand jetzt still.
    »Nun ja, Pater Urrutia ist gerade erst ein Jahr vor Ort und nicht über Iquitos hinausgekommen«, sagte Roger. »Deshalb weiß er nicht viel über das, was in den Kautschukstationen von Putumayo vor sich geht. Dafür hat er mir viel von einer anderen Tragödie erzählt, die sich hier in der Stadt zuträgt.«
    Der Konsul nippte an seinem Portwein. Dann fächelte er sich weiter Luft zu, das runde Gesicht leicht gerötet, wie es Roger vorkam. Draußen tobte der Sturm mit lautem Donnerhallen, und von Zeit zu Zeit erhellte ein Blitz sekundenlang den finsteren Busch.
    »Von geraubten Kindern«, fuhr Roger fort. »Die aus ihren Gemeinschaften hierhergebracht und für zwanzig oder dreißig Soles an Familien verkauft werden.«
    Stirs musterte ihn schweigend. Sein Fächer wedelte jetzt schneller. »Pater Urrutia sagt, so gut wie alle Bediensteten in Iquitos seien geraubte Kinder«, fuhr Roger fort. Eindringlich blickte er den Konsul an und fragte: »Stimmt das?«
    Stirs seufzte und setzte sich in seinem Schaukelstuhl zurecht. Er war offensichtlich verärgert, und seine Miene schien zu besagen: Sie wissen gar nicht, wie froh ich bin, dass Sie morgen nach Putumayo aufbrechen. Und hoffentlich begegnen wir uns nie wieder, Mr. Casement.
    »Gab es das im Kongo nicht?«, antwortete er ausweichend.
    »Es kam vor, aber es war keine allgemeine Praxis wie hier. Haben Sie Ihre vier Bediensteten rechtmäßig angestellt oder gekauft?«
    »Ich habe sie übernommen«, erwiderte der Konsul knapp. »Sie gehörten zum Haus, als mein Vorgänger, Konsul Cazes, nach England zurückging. Ich kann Ihnen nicht sagen, dass er sie eingestellt hat, das ist in Iquitos nicht üblich. Die vier sind Analphabeten und könnten einen Arbeitsvertrag weder lesen noch unterschreiben. Sie schlafen und essen unter meinem Dach, ich kleide sie ein und gebe ihnen ein Trinkgeld, was hierzulande nicht gebräuchlich ist, das kann ich Ihnen versichern. Die vier haben die Freiheit, zu gehen, wann immer sie wollen. Reden Sie mit ihnen und fragen Sie sie selbst, ob sie lieber eine andere Arbeit hätten. Sie werden schon sehen, wie sie darauf reagieren, Mr. Casement.«
    Roger nickte und trank einen Schluck Portwein.
    »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten«, entschuldigte er sich. »Ich versuche nur, dieses Land zu begreifen, die in Iquitosgeltenden Werte und Gewohnheiten. Betrachten Sie mich bitte nicht als Inquisitor.«
    Das Gesicht des Konsuls drückte jetzt unverhohlene Feindseligkeit aus. Er fächelte sich langsam Luft zu.
    »Nicht als Inquisitor, wohl aber als Gerechtigkeitsapostel«, korrigierte er Roger mit missmutigem Blick. »Oder als Helden, wenn Ihnen das lieber ist. Aber ich sagte Ihnen schon, ich mag keine Helden. Nehmen Sie mir meine Offenheit nicht übel. Aber machen Sie sich auch keine Illusionen. Sie werden nichts an den Zuständen hier ändern, Mr. Casement. Und Pater Urrutia auch nicht. In gewisser Weise haben diese Kinder noch Glück. Bedienstete zu werden, meine ich. Tausendmal schlimmer wäre es für sie, in ihren Stämmen aufzuwachsen, sich gegenseitig die Läuse vom Kopf zu knabbern, am Wechselfieber oder irgendeiner Pest zu sterben, bevor sie zehn Jahre alt wären, oder sich in den Kautschukstationen abzuquälen wie die Tiere. Hier geht es ihnen besser. Aber ich weiß, mein Pragmatismus muss Sie schockieren.«
    Roger sagte nichts. Er hatte erfahren, was er wissen wollte. Und ihm war klar, dass er in dem britischen

Weitere Kostenlose Bücher