Der Traum des Satyrs
Papier.
Offenbar wusste sie genau, wofür diese Dinge gedacht waren, denn sie riss sich augenblicklich das Hemd vom Körper, warf es unbekümmert hinter sich über das Geländer und kniete neben der unerwarteten Beute nieder.
Vincent konnte beinahe hören, wie Landon bei ihrem Anblick innerlich wie ein Raubtier knurrte. Im Laufe ihres Lebens hatten sie alle schon zahlreiche Nebelnymphen miteinander geteilt. Und so, wie sich die Rituale der Satyrn zu Vollmond nun einmal gestalteten, hatte jeder von ihnen die anderen und ihre jeweiligen Gespielinnen schon oft gesehen, wenn sie nackt und von Leidenschaft gepackt waren.
Allerdings war es eine Sache, dass Vincents Brüder und Landon diese Frau nackt sahen, wenn sie sich für wollüstige Nächte in der Klamm versammelten. Dass sie sie hier, am helllichten Tage, in seinem Haus anglotzten, war eine ganz andere.
Ihre Brüste, die für ihre sonst zierliche Figur zu üppig waren, wippten leicht hin und her, als sie wieder aufstand und das Kleid hochhielt, um es zu bewundern. Ihr Gesicht war herzerweichend ehrfürchtig angesichts dieser einfachen Gabe.
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Kleide dich oben in meinem Zimmer an!«, hörte er sich selbst befehlen.
Marco sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
Er hatte eifersüchtig geklungen. Er
war
eifersüchtig. Götter, war das möglich? Eifersüchtig auf seine eigenen Brüder? Auf Landon? Auf die Männer, mit denen er aufgewachsen war und problemlos Dutzende, wenn nicht Hunderte anderer Frauen geteilt hatte?
Die Nebelnymphe, die bereits mit einem Bein in das Kleid geschlüpft und nun im Begriff war, das zweite folgen zu lassen, schaute ihn fragend an: »Warum?«
»Was zur Hölle …?« Selbst Landon richtete sich aus seiner gewohnt lässigen Haltung auf, sprachlos angesichts ihrer Frage. Angesichts der Tatsache, dass sie überhaupt gefragt hatte.
Vincent bückte sich zu dem Kleid hinab, zog es hoch und begann schroff, es so zu richten, dass es passte.
»Was zur Hölle geht hier vor?«, wollte Marco wissen. »Eine Nebelnymphe, die unsere Anweisungen in Frage stellt? Und Kleider verlangt? Wo zum Teufel kommt sie her?«
»Ich habe sie wie gewohnt beschworen, zum gewohnten Zweck.« Vincent hielt kurz inne und fügte dann bedeutsam hinzu: »Letzte Nacht.«
»Letzte Nacht?«,
echote Marco.
»Und sie ist
immer noch
hier?«, versicherte Anthony sich.
»Wie ihr seht. Offenbar hat sie die Fähigkeit zu eigenen Empfindungen entwickelt. Und ich versichere euch, ihre Verwirrung darüber, wie das geschehen konnte, ist noch größer als unsere.«
»Aber das ist nicht möglich!«, sagte Anthony langsam. »Nebelnymphen bleiben niemals länger, als sie gebraucht werden. Solche Impulse haben sie nicht. Sie sind nicht … real.« Er streckte eine Hand nach ihr aus, als wollte er damit die Richtigkeit seiner Behauptung prüfen.
Vincent zog die Frau lässig außer Reichweite. »Aber wenn man zu oft ein und dieselbe beschwört, kann sie es offenbar werden.«
»Du hast ihr ein eigenes Bewusstsein eingevögelt?«, gluckste Marco unwillkürlich los. »Nun, das ist ja eine echte Meisterleistung, selbst für so einen Riesenschwanz wie deinen!«
Die Nebelnymphe, die gerade das Mieder des Kleides untersuchte, hielt inne und warf ihm einen finsteren Blick zu.
Vincent zuckte innerlich zusammen, während er sich an den Verschlüssen am Rücken des Kleides zu schaffen machte. Seine Brüder hatten nie so recht verstanden, welche Schwierigkeiten die außergewöhnlichen Maße seines Geschlechtsorgans mit sich brachten. Sie gingen eher davon aus, seine Ausmaße wären etwas, woran jede Frau ihre helle Freude haben müsste. »Wie schön, dass meine Zwangslage so amüsant für euch ist!«
Finger streiften seinen Arm. Die Nebelnymphe. Sie hatte sich umgedreht, noch bevor es ihm gelungen war, auch nur einen der Verschlüsse zuzumachen, und nun stand das Mieder weit offen und enthüllte ihren Körper. Sein Blick suchte den ihren, und er erkannte, dass ihre Geste tröstend gemeint war. Irgendwie hatte sie seine Verletzbarkeit gespürt.
Wie ein Blitz traf ihn eine erschreckende Erkenntnis. Sein Impuls, sie vor den Blicken der anderen zu verbergen, rührte daher, dass er sich der Frau nicht sicher war. Dass er nicht wusste, ob er sie halten konnte. Er hatte sie zwar erschaffen. Doch wenn sie nun wahrhaftig zu eigenen Empfindungen fähig war, könnte sie auch die Entscheidung treffen, ihn zu verlassen.
Er nahm sie an den Schultern, drehte sie zur
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