Der Traum des Satyrs
Antwort abzuwarten – denn er sah ihre Zustimmung als selbstverständlich an –, ging er hinaus, verriegelte die Tür hinter sich und schritt zur Treppe, während er noch im Gehen sein Hemd zuknöpfte.
4
A uf halbem Weg die Treppe hinab erstarrte er.
Wie es schien, hatte seine einfache Bitte nicht nur einen, sondern gleich zwei seiner Brüder auf den Plan gerufen. Und Landon war auch noch dabei!
Seine Brüder waren Drillinge, vierundzwanzig Jahre alt, und zwei von ihnen, nämlich Marco und Anthony, standen nun mit funkelnden Augen am Fuß der Treppe. Beide trugen Anzüge, die sie als Geschäftsmänner auswiesen; Marco war für die Finanzen zuständig, während Anthony die Geschäftsbücher des Weinguts Satyr führte.
Ein Stück abseits stand Landon, Vincents bester Freund, fünf Jahre älter als die Drillinge und zwei Jahre älter als Vincent.
Seine Kleidung – bestehend aus einer Jacke aus weichem Leder, abgewetzten Hosen und abgetragenen schlammbedeckten Stiefeln – machte deutlich, dass er direkt von der Arbeit draußen bei den Weinreben hergekommen war, und wie üblich gab er sich wortkarg.
»Warum bist du noch nicht reisefertig?«, verlangte Anthony empört zu wissen. »Hast du dir überhaupt schon die Liste der Verhandlungspunkte angesehen, bevor du dich durch das Portal zu Julius begibst?«
Vincent ignorierte diesen Ausbruch und beäugte das Paket unter Marcos Arm, in dem sich zweifellos die Dinge befanden, die er für die Nebelnymphe in seinem Quartier erbeten hatte.
»Ich wusste gar nicht, dass drei erwachsene Männer nötig sind, um ein kleines Päckchen zu überbringen«, bemerkte er kühl und sprang die restlichen Stufen auf einmal hinunter. »Ich sollte wohl froh sein, dass Julius in der Anderwelt auf mich wartet und Daniela auf Reisen ist, sonst hättet ihr die beiden zweifellos auch noch um Unterstützung bei einem so schweren Unterfangen gebeten.«
Obwohl alle vier Brüder dem Weingut auf ihre Art dienten, war keiner von ihnen mit der Gabe gesegnet, das Land zu bearbeiten wie ihr Vater Nicholas. Nur ihre Schwester Daniela, die um ein Jahr jünger war als Vincent, wies, zu aller Überraschung, diese Fähigkeit auf.
Für die Zeit ihrer Abwesenheit hatte sie Landon um Hilfe gebeten, auch wenn es ihr schwerfiel, die Verantwortung für ihren Anteil der Reben in die Hände eines Mannes zu geben, selbst eines so kompetenten. Landon war ein reinblütiger Satyr aus der Anderwelt, der vor zehn Jahren in diese Welt übergesiedelt war. Seither kümmerte er sich auf dem Weingut um die Anteile, die den Brüdern gehörten.
Marco sah sich demonstrativ um. »Wo ist sie?«
»Wer?«, fragte Vincent unschuldig.
»Die Frau, der du offenbar dieses Gewand anzulegen wünschst.« Bedeutungsvoll schüttelte Marco das Paket in seinem Arm. »Es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass mein ältester Bruder einen Bediensteten mit der Anweisung zu mir schickt, ich solle aus dem Schrank meiner Frau ein Kleid entwenden und an seinen Junggesellenhaushalt senden lassen. Das hat hier einiges an Unruhe verursacht. Millicent erwartet, Details zu hören«, verkündete er, indem er sich auf seine Frau berief.
»Haargenauso ist es«, entgegnete Vincent. »Ich habe um ein Kleid gebeten – nicht darum, dass ihr alle hier auftaucht.«
»Darf ich dich daran erinnern, dass ich hier wohne?«, warf Landon in einem seltenen Anflug von Humor ein.
Er hatte etwas abseits von den anderen gestanden, seine Hände in die Hüften gestemmt, doch nun gesellte er sich zu ihnen. Sein linkes Bein war steif und etwas schwerfällig, eine Folge von drei Jahren Dienst in dem Krieg, der noch immer in der Anderwelt wütete. Er hatte nie ein Wort über diese Jahre verloren, aber seine Wunden waren nicht nur körperlicher Art.
»Ich bot an, dafür zu sorgen, dass das Päckchen sicher in deine Hände gelangt«, erklärte Landon und lehnte sich dabei bequem gegen den Pfosten am Ende der Marmortreppe. »Allerdings wollte Marco es nicht aus der Hand geben, ohne vorher eine Erklärung für den Inhalt zu erhalten. Und Anthony war besorgt, du könntest vielleicht nicht rechtzeitig durch das Portal reisen, um zu deinen endlosen Diskussionen über rechtliche Angelegenheiten zu kommen. Beide zusammen erwiesen sich als unaufhaltbar.«
Diese Feststellung war lachhaft. Obwohl alle vier Brüder von erheblicher Körpergröße und Statur waren, überragte Landon selbst Vincent noch um einige Zentimeter, und auch sein Brustkorb fiel noch ein wenig
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