Der Traum des Satyrs
Härte seines kantigen Gesichts nur gemildert von den Schatten eines Anflugs blauschwarzer Bartstoppeln am Kinn. Diese Augen hatten schon zu viel gesehen und zu viel erfahren. Sie waren wie geschmolzenes Silber, mitleidlos und leer. Sie sah ihr eigenes Spiegelbild in ihnen, doch nichts von ihm.
»Ihr habt nicht das Recht, die Frau eines anderen Mannes zu berühren, Signore!«, wies sie ihn zurecht, wütend und verwirrt darüber, dass Carlo es offenbar nicht für nötig befand, ihn zu tadeln.
Dominics Blick war auf sie gerichtet, doch als er sprach, galten seine Worte ihrem Mann. »Mach sie bereit, Carlo! Meine Zeit ist nah.«
6
M it methodischer Präzision legte Dominic die Waffe, die an seiner Seite hing, ab und plazierte sie mit derselben Sorgfalt auf dem Kaminsims wie ein Konzertgeiger, den Emma einmal beim Umgang mit seinem Instrument beobachtet hatte. Sie fragte sich, ob er mit einer Frau wohl auch so achtsam umgehen würde.
Dieser unerhörte Gedanke schockierte sie so sehr, dass sie Dominic ansprach.
»Wie Ihr schon sagtet, Signore, es wird spät. Warum also seid Ihr noch hier?«, wollte sie wissen und war dabei nicht nur vor ihm auf der Hut, sondern auch vor ihrer Reaktion auf ihn.
Als er sprach, klang seine Stimme wie Samt, von Eisenfäden durchzogen. »Es ist an Eurem Ehemann, das zu erklären.«
Mit langgliedrigen Fingern griff er an den obersten Knopf seiner Uniform und öffnete ihn zielstrebig. Emma wich einen taumelnden Schritt zurück, während sie mit geweiteten Augen wie gebannt auf diese große geübte Hand an seinem offenen Uniformkragen starrte.
Ihr ungläubiger Blick traf den seinen, und was sie in seinen Augen sah, bestätigte die schockierende Schlussfolgerung, die sie selbst schon gezogen hatte. Endlich wurden ihr Carlos Gründe, ihn mit hierherzubringen, vollkommen klar.
»Carlo?«, keuchte sie schwach und konnte noch immer nicht glauben, dass das wahr sein sollte.
»Nun leg endlich diesen verdammten Morgenrock und das Nachthemd ab, und lass es uns hinter uns bringen!« Carlo seufzte. Er klang müde, doch die Entschlossenheit in seiner Stimme erschütterte Emma.
»Nein!« Sie zog ihren Morgenrock so eng um sich, dass sie sich selbst damit beinahe die Luft abschnürte. Ihr Blick wanderte zur Tür, doch Dominic beobachtete sie viel zu aufmerksam, und sie wusste, dass er sie daran hindern würde, zu entfliehen, sollte sie es versuchen.
»Hast du denn gar nicht zugehört?«, fragte Carlo unglücklich. »Ich kann heute Nacht nicht mit dir schlafen. Er schon.«
Sie trat zu ihm, krallte sich drängend an seinem Arm fest und schüttelte ihn heftig. »Nein!«
»Oh doch, mein Liebling. Mein erlauchter Kamerad hier hat sich glücklicherweise bereit erklärt, dir heute Nacht an meiner Stelle zu Diensten zu sein. Du solltest es wohl nicht allzu beschwerlich finden. Man sagt, seine Partnerinnen in der Anderwelt hätten viel Freude mit ihm.«
Gekränkt schaute sie zu Dominic, der inzwischen alle neun Knöpfe seiner Uniformjacke geöffnet hatte. Darunter kam ein wohlgeformter, muskelbepackter Brustkorb zum Vorschein, mit samtener Haut, die von den Narben lange verheilter bösartiger Wunden überzogen war.
»Zieh dein Nachtgewand aus, Emma, oder ich werde es tun!«, drohte Carlo. Doch sie hörte ihn nicht. Ihre Aufmerksamkeit war ganz auf diesen schemenhaft erkennbaren männlichen Oberkörper und seine wohlgeformten Konturen gerichtet. Ihre Haut prickelte im Bewusstsein seiner Gegenwart, der Gegenwart eines Fremden, der am anderen Ende des Raumes stand. Ihre Fingernägel gruben sich in den Arm ihres Mannes und hinterließen dort halbmondförmige Abdrücke.
Als sie seinem Wunsch nicht umgehend Folge leistete, wurde Carlo wütend. Er stieß ihre Hände weg und hob seinen Arm, als wollte er sie schlagen.
Mit einem kurzen Aufschrei zog Emma den Kopf ein.
Für einen so riesigen Kerl bewegte Dominic sich erstaunlich schnell. Bevor der Schlag Emma treffen konnte, hatte er ihn schon abgeblockt.
Emma schlug sich eine zitternde Hand vor den Mund und blickte wieder zur Tür, die zwischen den beiden Männern vor ihr sichtbar war, auf der Suche nach einer Gelegenheit, an ihnen vorbeizukommen. Noch nie hatte sie ihren Mann so unbeherrscht erlebt, noch nicht einmal letzten Monat.
Carlo zögerte und beobachtete forschend Dominics Miene. Was er darin las, ließ ihn den Arm senken, und er drehte sich zu Emma, um sie zu beruhigen.
Er nahm ihre Hände und erklärte ernst: »Wir müssen dafür sorgen, dass
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