Der Traum des Schattens
endlose Kuppel glitzernder Sterne, war selbst ein fremder Wagen ein Zufluchtsort, ein Geschenk. Auch wenn er relativ langsam fuhr und einen Anhänger zog.
» Ein Auto. Wir sollten mitfahren«, sagte er.
» Das würdest du dich trauen?«, fragte sie. Hoffnung war das eine, Vorsicht und Misstrauen wogen mindestens ebenso viel. » Das kann sonst wer sein.« Falls der Wagen mit zwanzig Vampirkriegern besetzt war, wäre es besser gewesen, sich nicht zu zeigen. » Hoffentlich sind sie das nicht. Am Ende sitzt Kunun am Steuer und hat alle seine Freunde dabei.«
» Unwahrscheinlich«, meinte Mattim. » Mein Bruder bevorzugt schnittige Sportwagen.«
Sie stellten sich an den Rand und winkten, als der Lichtkegel sie erfasste.
» Was macht ihr denn hier draußen?« Ein Mann streckte den Kopf aus dem Fenster. Solche Reisenden waren ihm sicherlich noch nicht begegnet, und wenn, dann nicht nachts mitten in der Einöde: ein Mädchen in einem Sommerkleid und ein junger Mann mit zerrissenem Shirt. In seinen Augen die stumme Frage, was sie hier taten. Rucksacktouristen ohne Rucksack?
» Wir haben uns verirrt«, antwortete Mattim. » Würden Sie uns ein Stück mitnehmen?«
» Hat man euch ausgeraubt?«, erkundigte der Fahrer sich besorgt, während sie auf der Rückbank Platz nahmen.
» So in etwa. Aber das ist eine lange Geschichte.«
Aus dem Anhänger erklang ein lautes Stampfen, ein Trommelwirbel aus Ungeduld und Empörung.
» Pferde«, erklärte der Mann, der nun wieder Gas gab, und deutete nach hinten. » Tagsüber war es zu heiß, um sie abzuholen. Wir haben hier in der Nähe eine Farm mit Gästewohnungen. Reiten, Kutschfahrten, das ganze Programm.«
» Von so einer Farm kommen wir gerade«, meinte Mattim.
» Wenn ihr telefonieren wollt…«
Der Mann brach mitten im Satz ab, als eine weiße Gestalt vor ihnen auftauchte. Im ersten Moment wirkte sie wie eine gespenstische Erscheinung, die sich in der Sekunde vor dem Aufprall in eine alte Frau mit wehendem grauem Haar verwandelte. Zum Bremsen war es zu spät. Eben noch hatte Adrienn mitten auf der Straße gestanden, die Arme ausgestreckt, dann ertönte ein lauter Knall, und sie flog über die Motorhaube, schlug mit dem Gesicht gegen die Windschutzscheibe und rollte herunter. Eine Spur aus Blut blieb auf dem Glas zurück.
» Verdammt!« Der Farmer hielt sofort an und riss die Tür auf, bevor Hanna ihn daran hindern konnte.
» Nicht!«, rief Mattim. » Fahren Sie weiter!«
Doch er stieg bereits aus. » Wo sind Sie? Oh nein! Nein!«
Hanna und Mattim blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, denn Adrienn Bartók rappelte sich bereits auf. Ihr Schädel war gebrochen, Blut strömte ihr übers Gesicht, und ein Auge hing halb aus der Höhle. Einer ihrer Arme stand in einem grotesken Winkel ab, trotzdem tappte sie unaufhaltsam auf die drei Menschen zu.
» Sie sind verletzt«, keuchte der Fahrer. » Sie…« Er wankte zum Straßenrand und fiel auf die Knie, denn vor ihm teilten sich die Ähren, und eine fremdartige Gestalt stieg aus dem Feld wie ein Gott aus dem Meer– ein Krieger in mittelalterlich anmutender Rüstung, mit einem Schwert in der Hand. Fassungslos sah der ahnungslose Mensch zu ihm auf. » Was…?« Spätestens jetzt schien er das Ganze für einen absurden Traum zu halten. Er lachte hysterisch und stürzte die endlose Straße hinunter, in die Dunkelheit der Nacht.
Hinter der verletzten Greisin tauchten weitere Krieger auf. Zu Hannas Überraschung wirkten sie, als kämen sie geradewegs aus einer Schlacht. Dem einen fehlte eine Hand, über das Gesicht eines zweiten zogen sich blutrote Striemen und umrahmten die unnatürlich flachgedrückte, blauviolett verfärbte Nase.
» Wie könnt ihr es wagen, mir so zu kommen!«, rief Mattim den Männern zu. » Ihr wisst genau, wer ich bin!«
» Wir dienen dem König«, entgegnete einer von ihnen mit stolzgeschwellter Brust. Die Wirkung seines Auftritts wurde allerdings von seinen fehlenden Zähnen und der tiefen Kerbe in seinem Kinn merklich beeinträchtigt. » Ergebt Euch, Prinz.«
» Dem König?«, fragte Mattim verächtlich. » Hat Kunun wirklich die Dreistigkeit, sich so zu nennen? Glaubt ihr, ihr seid unschuldig, nur weil ihr euch blind stellt?«
» Mein Auftrag«, nuschelte Adrienn. » Die Schwelle. Bring ihn über die Schwelle ins Zimmer. Mehr nicht.«
» Wir können es so abwickeln, dass niemandem etwas passiert«, sagte einer der Krieger. Es war keiner von denen, die Mattim aus seiner Zeit als Flusshüter
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