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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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hältst mich nicht länger zum Narren! Du hast alles kaputtgemacht! Ich hasse dich!«
    Atschorek legte ihm eine Hand auf die Schulter. » Kunun, bitte, du wirst es bereuen. Von allen Dingen, die du je getan hast… Bring um, wen du willst, aber nicht deine Lichtprinzessin!«
    » Zu spät«, flüsterte er.
    In Mattims Augen glänzte Hass, ein solch kalter, eisiger Zorn, dass Kunun den Anblick nicht ertragen konnte. Es gab nur einen Weg, um der Anklage in den grauen Augen seines Bruders zu entgehen.
    » Bringt ihn weg, nach Akink. Hängt ihn auf dem Marktplatz auf. Dort sollen ihn alle baumeln sehen, die ihre Hoffnung immer noch auf das Licht setzen. Und dann sucht nach Mária.«
    » Hanna ist hier«, sagte Atschorek.
    Er drehte sich um. Da stand sie, die Hand vor den Mund geschlagen.
    Magdolna hing tot in ihrem Sessel.
    Alles drehte sich. Hanna stürzte ins Badezimmer. Sie würgte, ihr Magen schmerzte, doch sie spuckte nur einen dünnen Strahl Blut. Keuchend wischte sie sich den Mund ab. Im Spiegel blickte ihr ein fremdes Gesicht entgegen, eine Frau mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen.
    Als sie ins Zimmer zurückkehrte, war dort das Chaos ausgebrochen. Sie hatte Mattims Anwesenheit im ersten Moment gar nicht bemerkt, aber nun war er nicht zu übersehen. Zerrissene Stricke hingen noch halb an ihm, während er einen zerbrochenen Stuhl in der Hand hielt und gegen mindestens zehn Schatten kämpfte. Teilnahmslos stand der König daneben.
    Hanna huschte neben ihn, griff nach Kununs Hand. » Was ist passiert?«
    » Was passiert ist?« Seine Stimme klang verändert, heiser und knisternd. » Mattim hat seine Suche fortgesetzt, und es ist ihm tatsächlich gelungen, ein Lichtkind zu finden: Mária. Weil Magdolna ihm nicht sagen konnte, wo ihre Enkelin ist, hat er sie umgebracht.«
    » Das ist eine verdammte Lüge!« Mattim wehrte sich mit aller Kraft, doch gegen die Übermacht der Schatten hatte er keine Chance. Sie überwältigten ihn, zwangen ihn zu Boden. Atschorek klebte ihm ein Pflaster über den Mund und zog die Stricke um seine Handgelenke fester. So schleppten sie ihn fort, bis schließlich nur noch Kunun und Hanna zurückblieben. Und die Tote.
    Er kniete neben ihr nieder und streichelte die schlaffe Hand.
    » Sie war meine Lichtprinzessin«, sagte er leise. » Und ich habe sie nicht erkannt. Kannst du dir das vorstellen? Das Gesicht, das mich jahrelang verfolgt hat, bis in meine Träume, habe ich unter all diesen Falten nicht erkannt.«
    » Es tut mir schrecklich leid«, flüsterte Hanna.
    » Tatsache ist, wir haben zusammengehört, aber sie wollte mich nicht mehr, deshalb wurde sie alt, während ich jung geblieben bin. Ich wusste nicht, dass sie sich erinnert hat. Damals wusste ich noch nichts über Lichtprinzessinnen. Ich hatte keine Ahnung, dass sie sich ihre Erinnerungen zurückgeholt hat, dass sie mich hasst.«
    » Sie war nicht stark genug, um dich zu lieben«, sagte Hanna. » Ich bin es.« Sie sehnte sich danach, ihn in den Arm zu nehmen und ihm zu versichern: Du bist nicht allein. Sie hat dich nicht zu schätzen gewusst, ich dagegen tue es, ich bin für dich da.
    » Jetzt sind wir verloren«, flüsterte er. » Wir alle. Es gibt keine Hoffnung mehr für das Licht. Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, dass sie die Einzige war, die mich hätte erlösen können? Die mir mein Menschsein hätte zurückgeben können? Jetzt, da sie hier liegt, tot, überlege ich, ob es eine Versuchung für mich gewesen wäre, sie darum zu bitten.«
    Hanna wünschte sich, ein Schatten zu sein hätte bedeutet, den Schmerz von sich fernhalten zu können. So wie man es mit dem körperlichen Schmerz tun konnte– wenn er einen traf wie ein Pfeil aus dem Hinterhalt, war es wie ein Schock, doch danach war es möglich, sich davon zu trennen und nichts mehr zu empfinden. Mit den seelischen Schmerzen hätte es genauso sein sollen, sie hätten verschwinden müssen, wenn man es ihnen befahl, stattdessen blieben sie und fraßen sich durch alle Schichten. Sie schnappte nach Luft, aber es half nichts, denn es waren nicht ihre Lungen, die hungrig waren. Auch jemanden zu beißen hätte nicht geholfen. Nichts wirkte, und mit einer Klarheit, die sie selbst erschreckte, wusste sie, dass es Kunun genauso ging. Hinter dem Vorhang seiner Seele verbarg sich all das Dunkel, das er nun auf die Welt losließ, weil es zu groß und zu schwer war, selbst für den König von Magyria.
    Sie ging in die kleine Küche, um Wasser zu trinken, auch wenn das nicht

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