Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
einzuladen und davonzubrausen, fort aus dieser Stadt. Dabei hatte sie nicht mal ein Auto.
    » Man verirrt sich schnell in der Dunkelheit«, sagte der Mann. » Es gibt Leute, die gehen gar nicht mehr aus dem Haus.«
    » Sie halten es für sicherer«, ergänzte die Frau. Auch sie redete komisch, als hätte sie sich auf die Zunge gebissen.
    » Was für ein verhängnisvoller Irrtum.«
    Mária wich zurück, stolperte über den Bürgersteig und stürzte auf den Asphalt. Sofort sprang sie wieder auf, spürte keine Schmerzen, fühlte nur den Drang zu rennen.
    Der Nebel dämpfte die Stimmen.
    » Verdammt, musstest du sie erschrecken? Sie hätte für uns beide gereicht.«
    » Wir finden sie schon noch.«
    Sie wollte schreien, damit die ganze Straße, die ganze Stadt sie hörte, aber sie konnte nicht. Nichts als ein Ächzen wohnte in ihrer Kehle, in ihren Ohren rauschte das Blut. Werd jetzt bloß nicht ohnmächtig, befahl sie sich. Nur nicht ohnmächtig werden.
    Mária lief weiter, wäre fast gegen ein parkendes Auto gestoßen und kauerte sich dahinter. Gegen den Autoreifen gepresst, hockte sie auf dem Asphalt und horchte.
    » Wen haben wir denn da?« Der Mann von vorhin stand in der Lücke zwischen den beiden Autos und blickte auf sie herunter.
    » Wirklich, du musst dich nicht fürchten«, erklang die Stimme der Frau von hinten.
    Zögernd richtete Mária sich auf.
    Die beiden hatten sie eingekreist. Und lächelten. Jetzt sah sie auch, was an ihren Gesichtern nicht stimmte: Fangzähne, die die Oberlippe ausbeulten. Sie verliehen dem Lächeln eine ganz besondere Würze.
    Wenn Mária nicht an Vampire geglaubt hätte, wäre sie vor Schreck vermutlich in Ohnmacht gefallen. Oder sie hätte ihnen zugerufen, sie sollten sich ihre gruselige Verkleidung sonst wo hinstecken. Doch dies war nicht ihre erste Begegnung mit einem dieser dunklen Wesen, und seltsamerweise fühlte sie ein klein wenig Mut in sich. Vor etwas Namenlosem im Dunkeln davonzulaufen war Grauen pur, aber ihm gegenüberzustehen und dem Feind ins Gesicht zu blicken war etwas anderes.
    » Ich weiß, was ihr seid«, stieß sie trotzig hervor.
    Die Stimme der Frau klang verzerrt, als hätte sie jemand in einem Tonstudio bearbeitet, seltsam schrill und scharf.
    » Welchen Zweck hat es dann davonzulaufen?«, fragte der Mann. Er hatte vor kurzem erst ein Opfer gehabt, Blut glänzte auf seinen Zähnen.
    » Lass sie in Ruhe«, meinte die Frau. » Ohne Jagd ist es sowieso langweilig.« Sie trat einen Schritt zur Seite. » Na, was ist? Traust du dich? Willst du es noch mal versuchen?«
    » Ich würde dir empfehlen, vernünftig zu sein«, sagte er, » dann können wir es schnell hinter uns bringen.«
    Mária zögerte keinen Moment und sprintete los, an der Frau vorbei. Jemand griff nach ihrem Arm– erstaunlich eigentlich, dass die Vampire normale Hände besaßen und keine Klauen! Mühelos schüttelte Mária sie ab, rannte weiter.
    Es war ein Spiel. Während sie keuchend vorwärtsstolperte, machten sich ihre Verfolger einen Spaß daraus, sie beinahe einzuholen. Die beiden sandten ihr Lachen voraus wie abgerichtete Hunde, um das Wild zu stellen. Es ging so lange, bis Mária nicht mehr konnte. Ihre Beine ließen sich nicht mehr bewegen, und ihre Knie schlotterten, als sie sich gegen eine Hauswand lehnte. Alle Fenster waren dunkel, nur hoch oben, wie in einem Leuchtturm, strahlte Licht durch die Scheiben.
    Zitternd tastete sie nach ihrem Handy. Wen sollte sie anrufen? Réka? Réka, die sie gerade eben verraten hatte? Wer sonst wusste über die Vampire Bescheid?
    Hanna.
    Sie war immerhin Mattims Freundin. Wenn irgendjemand ihn aufhalten konnte, dann sie.
    Mit bebenden Fingern wählte Mária die Nummer.
    » Wen rufst du an? Die Polizei? Was willst du denen denn sagen?« Das Pärchen trat vor sie hin. Keiner der beiden war außer Atem, keiner schwitzte.
    » So mag ich sie ganz besonders«, sagte der Mann, » wenn ihr Puls rast wie bei einem kleinen Vogel.«
    » Oder einem Hasen.«
    Die beiden kamen näher, noch einen Schritt.
    Sie rochen nach nichts. Sein Atem hätte Márias Haut streifen müssen, als der männliche Vampir sich vorbeugte, aber er atmete nicht. Wind flüsterte hoch oben über den Häusern. Die Nacht wurde immer dunkler, die Luft immer dichter; es fühlte sich an, als wären sie unter Wasser.
    Wie absurd, dachte Mária, dass ich in einer solchen Nacht sterbe, die so unwirklich ist, genauso unwirklich wie alles hier.
    » Oder wie ein Fisch, der aus einem Aquarium geangelt

Weitere Kostenlose Bücher