Der Traum des Schattens
eines Blitzschlags. » Du… du wagst es, mich zu verfluchen? Du… ich kenne dich!«, schrie er plötzlich. Er wich zurück. » Du warst das! Du warst die Alte am Straßenrand! Es war deine Prophezeiung!«
Magdolna lachte verzweifelt. » Prophezeiung? Was für eine Prophezeiung?«
» Du hast mich gesehen!«, schrie er. » Aber ich habe dich nicht erkannt. Du bist alt! Ich habe nicht gewusst, dass du es bist! Ich habe dich für eine Bettlerin gehalten, für eine weise Frau!«
» Ich habe nicht gebettelt«, sagte sie stolz. » Als du vorübergegangen bist, so jung und schön wie damals, haben meine Knie nachgegeben. Ich bin in den Schmutz gefallen, habe die Hände nach dir ausgestreckt… und du bist einfach weitergegangen, du hast mich nicht einmal angesehen.«
» Du hast mir den Sieg prophezeit!«, rief Kunun. » Szigethy-Blut für die Stadt, kleiner Bruder bringt den Sieg. Von dir hatte ich das Wort über die Szigethys und darüber, dass Mattim mir den Sieg bringen wird! Daraufhin habe ich Réka ausfindig gemacht. Du hast mich erkannt, deshalb dachte ich, du wärst eine Hellseherin, dabei bist du bloß Magdolna, die treulose Magdolna, die es nicht ausgehalten hat, wer ich war!« Er war völlig außer sich.
Die alte Frau wollte aus dem Sessel aufstehen, sie ächzte, und dieser Laut ließ ihn vollends durchdrehen. Er sprang auf sie zu und schüttelte sie so heftig, dass sie aufschrie. Irgendwo am Rand seiner Wahrnehmung kämpfte Mattim darum, von seinen Fesseln freizukommen, gellten seine wütenden Schreie, während Atschorek wie gebannt dastand, ohne etwas zu unternehmen.
» Du warst es bloß!«, brüllte Kunun. » Auf dein Wort habe ich mich verlassen! Es hat funktioniert, es hat mein Leben verändert. Aber du hast mich zum Narren gehalten! Ich habe daran geglaubt, ich habe mich danach gerichtet, ich habe den Tag unserer Begegnung in Ehren gehalten. Dabei warst du es nur!«
» Ich und eine Hellseherin?« Etwas brach mit einem hörbaren Knacken, vielleicht ihr Arm, während er die Hände um ihre Schultern krallte. » Ich verfluche dich! Der Lichtjunge wird deine Gebeine in den Staub treten!«
» Warum die Szigethys?«, schrie Kunun. » Warum hast du mich zu ihnen geführt? Warum? Was hatte ich mit ihnen zu schaffen? Was sollte ich mit Réka, die ich nicht mehr loswerde? Warum hast du das gesagt? Warum ist alles wahr geworden? Wie kannst du es wagen, mich so an der Nase herumzuführen?«
Er legte seine Hände um ihren Hals, riss sie aus dem Sessel. Magdolnas Beine gaben unter ihr nach.
» Kunun!«, rief Mattim. » Lass sie los, du bringst sie um!«
» Szigethy-Blut für die Stadt!«, brüllte Kunun. » Kleiner Bruder bringt den Sieg! Warum, frage ich dich, warum hast du mich genarrt? Hat es dir nicht gereicht, dass ich dir das Gedächtnis nehmen musste, dass ich dich zerstört habe, wie du mich zerstört hast? Dachtest du, du könntest mich beherrschen, mich vernichten, mich ins Unglück treiben, indem du einen Fluch über mir aussprichst? War es das, ein Fluch, kein Segen? Was bedeutet es?«
Atschorek zerrte ihren Bruder am Arm, doch er stieß sie mit dem Ellbogen weg. Seine ganze Aufmerksamkeit gehörte Magdolna.
Er gab sie so plötzlich frei, dass sie in den Sessel fiel. Sie krümmte sich, hustete.
» Ich habe dich geliebt«, sagte er leise. » Dieses wunderschöne Geschöpf, das du damals warst… Ich dachte wirklich, du würdest es verstehen. Was ich bin, was ich sein muss… Warum können alle lieben, selbst die Schatten, und du konntest es nicht? Warum musstest du erschrecken? Warum war das alles so entsetzlich für dich, Magyria und der Wald und der Anblick der Burg hinter dem Fluss? Warum konntest du mich nicht lieben, wie ich war, mit den Wölfen an meiner Seite? Sogar meine Brüder können mich lieben, selbst Atschorek steht zu mir… sogar Mattim…« Seine Stimme wurde so leise, dass er kaum noch zu verstehen war. » Sogar Mattim liebt mich, nur deshalb hat er mich aus dem Fluss gerettet. Warum konntest du es nicht? Warum musstest ausgerechnet du dich von mir abwenden, die Einzige, die ich je wollte?«
Die alte Frau versuchte sich aufzurichten, aber ihre gebrochenen Arme versagten ihr den Dienst, und mit einem qualvollen Stöhnen sank sie zurück.
» Vampir«, zischte sie. » Ein Kind ist uns geboren, ein Lichtkind. Es wird diese Welt von dir erlösen.«
» Ich werde Mária töten«, sagte Kunun. Er griff wieder nach der Alten und schüttelte sie. » Ich bringe sie um, hörst du? Du
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