Der Traum des Schattens
wird«, flüsterte die Frau.
Der Mann rieb sich voller Vorfreude die Hände.
Es war wie ein Déjà-vu, als hätte sie das hier schon einmal erlebt, als würde sie immer wie in einem Albtraum durch die Straßen gehetzt, hinter sich die Vampire.
Hanna hatte sich dazu entschlossen, auf die Pirsch zu gehen. Wie dunkel es draußen war, wie hilflos die Laternen, sogar die Scheinwerfer der Autos waren weit davon entfernt, einen Schein zu werfen, sondern glommen vor sich hin, als steckten sie im Nebel fest.
Überall wuchsen Bäume aus den Bürgersteigen, ein schmaler Stamm grub sich mitten durch einen geparkten Porsche und breitete über ihm die grünbelaubten Zweige aus. War es schon immer so gewesen, dass jene Welt nach dieser griff mit grünen Fingern, dass der Wald auf diese Seite herüberwuchs? Die Luft war schneidend dick, nicht von den Abgasen, sondern von der Dunkelheit, die zum Greifen nahe war, flüchtig und zugleich stofflich wie Nebel.
Dort war die Bar. Welke Blätter lagen vor der Tür und raschelten unter Hannas Schuhsohlen.
Ihr Blick wanderte durch den Raum. Hier waren die Schwaden noch dichter und dunkler. Zigarettenrauch? Es roch anders, feuchter, nach Wald, nach Moos und Pilzen.
Als ihr Handy klingelte, verstand sie zuerst nicht, was das bedeutete, so fremd klang dieser Laut in einer Welt der Schatten. » Ja?«
» Komm her«, sagte Atschorek, » in die Wohnung von dieser Mária. Und beeil dich, wir brauchen dich hier.«
In der Stadt war es mittlerweile so dunkel, dass Kunun sein Aussehen nicht störte. Er hatte eine Schar seiner Getreuen bei sich, die jedoch stets im Hintergrund blieben, als gehörten sie nicht zu ihm. Nur ein paar Wölfe schlichen dicht hinter ihm, kleine graue Wesen, keine wahnsinnigen Schattenwölfe. Er war nicht hier, um irgendjemanden zu verwandeln.
Die Straße war immer schon eng und schmutzig gewesen, jetzt war sie nur noch dunkel, und alles, was jemals gestört hatte, war gnädigerweise verborgen. Trotzdem haftete an dem mehrstöckigen Haus der Geruch von Alter und Armut. Da die Tür abgeschlossen war, winkte Kunun einem seiner Schatten. Ein Schlag, ein Stoß, Glas splitterte. Die Wölfe scheuten davor zurück, das finstere, merkwürdig riechende Treppenhaus zu betreten.
» Wartet hier«, befahl Kunun. » Vielleicht ist sie nicht zu Hause. Fangt jeden ab, der hereinwill.«
Sie nickten gehorsam und verschwanden in der Düsternis. Genauso schweigend, genauso gehorsam folgte Atschorek Kunun die Treppe hinauf.
» Welches Stockwerk?«, fragte er.
» Das vierte.«
Im Flur standen überall Schatten, die Tür war weit geöffnet. Drinnen saß die Alte.
Sie kam ihm so winzig und verschrumpelt vor wie eine kleine Schildkröte.
Nur noch Mirita war da, sie und ihr Gefangener. Sie hatte Mattim gefesselt und an einen Stuhl gebunden.
» Gute Arbeit.« Er nickte ihr zu, wobei er das Unglück in ihrem Gesicht, den fehlenden Stolz ignorierte. Wie elend und schwach sie wirkte! Aber das war egal, Mirita hatte ihre Pflicht erfüllt. » Und jetzt raus hier, ich brauche dich nicht mehr. Nein, lass Mattim hier. Er soll sehen, was er angerichtet hat. Er soll dabei sein, wenn ich Antworten erzwinge. Du weißt das zu schätzen, nicht wahr?«
Sein Bruder starrte ihn mit brennenden Augen an.
» Mach die Tür zu«, sagte er zu Atschorek, » und dann pass auf Mattim auf. Er hat die ungute Angewohnheit, sich ständig zu verdünnisieren. Dabei ist das hier allein für ihn.«
Der Mund der Alten bewegte sich, ohne dass ein einziges Geräusch herauskam, sie schien nach Luft zu schnappen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sie zuckte vor ihm zurück, als könnte sie sich in den Sessel hineingraben, auf dem sie saß. Kunun baute sich vor ihr auf und musterte sie. War es wirklich zu glauben, dass er einst etwas mit dieser alten Schachtel gehabt hatte? Dass dieses Gesicht einmal jung und frisch gewesen war und ihn bezaubert hatte?
» Haben wir ein gemeinsames Kind? Ist Mária meine Enkeltochter?«, fragte er.
Erst glaubte er, sie hätte ihn nicht gehört. » Wie jung du bist«, flüsterte sie schließlich. » Wie unglaublich jung.«
» Soll ich dir im Gegenzug sagen, wie schrecklich alt du geworden bist? Alt und hässlich?« Er starrte sie an, sie starrte zurück. Tränen liefen ihr über die Wangen.
» Jesus Maria«, wisperte die Frau. » Du bist zurückgekommen, Vampir. Dreimal verfluchter Vampir, Missgeburt der Hölle.«
Kunun griff sich an die Kehle. Die Erkenntnis überkam ihn mit der Gewalt
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