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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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versagte, sie redete in abgehackten, unzusammenhängenden Sätzen weiter von den Wiesen, auf die sie die Rotschecke führte, von dem breiten Weg, auf dem sie spielten, von den Brotfladen, die sie buken, von einem großen Hund, der sie gebissen hatte.
    Hubert unterbrach sie, indem er ganz laut las:
    »Bei schwerer Krankheit oder schlechter Behandlung ist der Unterinspektor ermächtigt, die Kinder zu einer anderen Pflegemutter zu geben.«
    Darunter stand, das Kind AngéliqueMarie sei am 20. Juni 1860 Thérèse, der Ehefrau des Louis Franchomme, beide Blumenhändler, wohnhaft in Paris, anvertraut worden.
    »Aha, jetzt verstehe ich«, sagte Hubertine. »Du bist krank gewesen, und man hat dich nach Paris zurückgebracht.«
    Aber so war es auch nicht gewesen, die Huberts erfuhren die ganze Geschichte erst, als sie sie Stück für Stück aus Angélique herausgelockt hatten. Louis Franchomme, der Mama Ninis Vetter war, hatte in sein Dorf zurückkehren und dort einen Monat leben müssen, um sich von einem Fieber zu erholen; und damals hatte seine Frau Thérèse, die eine große Zuneigung zu der Kleinen hegte, es durchgesetzt, sie mit nach Paris zu nehmen, und sie versprach ganz fest, sie dort den Blumenhändlerberuf lernen zu lassen. Drei Monate später starb ihr Mann, sie sah sich, da sie selber sehr leidend war, gezwungen, zu ihrem in Beaumont ansässigen Bruder, dem Lohgerber Rabier, zu ziehen. Dort war sie in den ersten Dezembertagen gestorben und hatte ihrer Schwägerin die Kleine anvertraut, die seitdem beschimpft und geschlagen wurde und ein wahres Martyrium erlitt.
    »Die Rabiers«, murmelte Hubert, »die Rabiers, ja, ja! Lohgerber am Ufer des Ligneul in der Unterstadt ... Der Mann trinkt, die Frau hat einen schlechten Lebenswandel.«
    »Sie schimpften mich ein hergelaufenes Kind«, fuhr Angélique empört fort, rasend vor leidendem Stolz. »Sie sagten, die Gosse sei gut genug für einen Bastard. Wenn die Frau mich krumm und lahm geschlagen hatte, stellte sie mir Futter auf die Erde, wie ihrer Katze; und oft noch ging ich ohne zu essen schlafen ... Ach, ich hätte mich schließlich noch umgebracht!« Sie machte eine Gebärde wütender Verzweiflung. »Am Weihnachtsmorgen, also gestern, da haben sie getrunken, haben sie sich auf mich gestürzt und gedroht, mir mit dem Daumen die Augen herauszudrücken, bloß so zum Spaß. Und dann ging das nicht so, wie sie es sich gedacht hatten, und sie haben sich schließlich so mächtig mit Fausthieben bearbeitet, daß ich sie für tot gehalten habe, als sie alle beide quer ins Zimmer gefallen waren ... Seit langem hatte ich beschlossen davonzulaufen. Aber ich wollte mein Buch. Mama Nini zeigte es mir manchmal und sagte: ›Siehst du, das ist alles, was du besitzt, denn wenn du das nicht hättest, hättest du gar nichts.‹ Und ich wußte, wo sie es seit dem Tode von Mama Thérèse versteckt hielten, im Schubfach oben in der Kommode ... Da bin ich über die beiden hinweggestiegen, habe das Buch genommen und bin losgerannt und habe es dabei unter meinem Arm an meine Haut gepreßt. Es war zu groß, ich bildete mir ein, alle Leute könnten es sehen, man würde es mir wegnehmen. Oh, ich bin gerannt und gerannt! Und als es stockfinstere Nacht war, habe ich unter diesem Tor gefroren, daß ich glaubte, ich sei nicht mehr am Leben. Doch das macht nichts, ich habe es nicht losgelassen, da ist es!« Und mit einem jähen Ruck entriß sie es den Huberts, gerade als diese es zumachten, um es ihr zurückzugeben. Dann setzte sie sich wieder und sank am Tisch zusammen, preßte dabei das Büchlein in ihre Arme und schluchzte, die Wange an den Umschlagdeckel aus rosa Leinen geschmiegt. Ein schreckliches Gefühl der Demut schlug ihren Stolz nieder, ihr ganzes Wesen schien in dem bitteren Schmerz über diese wenigen Seiten mit den abgenutzten Ecken dahinzuschmelzen, über dieses armselige Ding, das ihr Schatz war, das einzige, was sie noch mit dem Leben der Welt verband. Sie konnte eine so große Verzweiflung gar nicht aus ihrem Herzen herausweinen, ihre Tränen flossen, flossen ohne Ende; und in dieser völligen Zerknirschung bekam sie wieder das hübsche Gesicht eines Blondköpfchens mit dem ein wenig länglichen, sehr reinen Oval, ihre veilchenfarbenen Augen, die vor Zärtlichkeit wieder heller wurden, den zierlichen Schwung ihres Halses, der sie einer kleinen Jungfrau im Kirchenfenster gleichen ließ. Plötzlich ergriff sie Hubertines Hand, preßte ihre nach Liebkosungen gierigen Lippen darauf und

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