Der Traumhändler
Ich bin hier der Gott!‹«
Er keuchte wie ein Asthmatiker und schien kurz vor dem Herzinfarkt zu stehen. Noch nie hatte ich jemanden gesehen, der so geschwächt war und so dringend Hilfe brauchte. Im verzweifelten Versuch, seinen inneren Dämonen zu entkommen, drehte er plötzlich das Gesicht zur Kamera und brüllte verzweifelt: »Hilfe! Ich hab solche Angst! Das Haus stürzt ein! Wir werden lebendig begraben! Hilfe!!!«
Die Kamera zoomte nun ganz nah heran, sodass der panische Gesichtsausdruck riesengroß auf der Leinwand zu sehen war. Und als wir das Gesicht des Kranken sahen, stürzte nicht mehr nur sein Haus ein, sondern unsere ganze Welt. Wir verloren den Boden unter den Füßen und begannen zu zittern. Die Stimme versagte uns, und wir saßen wie gelähmt in unseren Sitzen. Es war einfach unglaublich. Der gefilmte Patient war … der Traumhändler.
Äußerlich war mir nichts anzumerken, doch in mir tobte es. Stumm schrie ich in mich hinein: »Das kann doch nicht wahr sein! Wir folgen einem Geisteskranken! Das kann einfach nicht wahr sein!« Das soziologische Experiment zerbrach in tausend Stücke. Wir waren betrogen worden. Unser revolutionärer Führer war geistesgestört und unendlich schwach. Ich wusste nicht, ob ich wütend auf ihn war oder ob ich ihn bemitleidete. Ich wusste nicht, ob ich mich ohrfeigen oder vor Scham im Boden versinken sollte.
Das Publikum war sprachlos. Genau wie ich konnten die Leute nicht glauben, dass die Gestalt auf der Bühne dieselbe war wie die im Film. Aber die Ähnlichkeit ließ keinen Zweifel zu, abgesehen davon, dass unser Traumhändler einen längeren Bart trug. Meine Freunde kniffen sich gegenseitig in den Arm, um aus einem Traum geweckt zu werden, den sie nie hatten träumen wollen.
Nun bat der Moderator mit einer Handbewegung darum, das Mikrofon des Traumhändlers wieder einzuschalten, und fragte dann wie ein Inquisitor: »Können Sie bitte bestätigen, dass Sie die gefilmte Person sind?«
Es war mucksmäuschenstill. Wir drückten die Daumen, so fest wir nur konnten, in der Hoffnung, dass er Nein sagen und erklären würde, es handle sich um einen Irrtum. Vielleicht war der Mann im Film ja ein Doppelgänger oder, wer weiß, sein Zwillingsbruder? Doch der Meister blieb sich selbst treu. Er drehte sich zu den Zuschauern um, blickte dann auf die Gruppe seiner Freunde und sagte, wobei ihm Tränen über das Gesicht liefen: »Ja, ich bin es.«
Dann wurde sein Mikrofon wieder abgestellt, obwohl er gar nicht den Versuch unternahm, sich zu verteidigen.
»Ein Geisteskranker!«, sagte der Moderator höhnisch und schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich den Kameras zu: »Meine Damen und Herren, endlich kennen wir die wahre Identität des Mannes, der unsere Großstadt in Aufruhr versetzt hat. Dies ist der Mann, der die Fantasie von Millionen gefesselt hat. Er ist tatsächlich ein Phänomen!«
Er zeigte mit dem Finger auf ihn und betonte sarkastisch: »Sehen Sie hier den größten Hochstapler aller Zeiten! Den größten Schlauberger unserer Gesellschaft! Den größten Betrüger, Blender und Ketzer des Jahrhunderts! Um unsere Dankbarkeit zu zeigen, verleihen wir ihm hiermit den Ehrentitel des größten Spinners, Albtraum- und Lügenhändlers, den die Gesellschaft je hervorgebracht hat.«
Die geladenen Journalisten schossen ein Foto nach dem anderen. Ein äußerst gut aussehendes Model ging auf den Meister zu, um ihm ein Diplom zu überreichen. Die Organisatoren hatten wirklich alles bis ins letzte Detail geplant. Unglaublicherweise lehnte der Meister es nicht ab, sondern nahm es höflich an. Wir, seine Schüler, und das Publikum sahen fassungslos zu und waren totenstill.
Meine Gesichtsmuskeln erstarrten, und meine Gedanken drehten sich im Kreis. Ich fragte mich ein ums andere Mal: Waren alle Ideen, die wir vernommen und die uns derart beeindruckt hatten, dem Geist eines Wahnsinnigen entsprungen? Wie war das möglich? Was hatte ich aus meinem Leben gemacht? Waren meine Ideen nun Träume oder Albträume? Hatte ich etwa den körperlichen Selbstmord gegen einen geistigen Selbstmord eingetauscht?
Psychotisch oder weise?
N ach der Enthüllung, dass der Psychiatriepatient in dem Film der Traumhändler war, schauten die Organisatoren der Veranstaltung genüsslich in unsere Richtung. Sie schienen sich innerlich die Hände zu reiben und hielten uns wohl für die größten Einfaltspinsel aller Zeiten. Aber warum hatten sie uns in diese Falle gelockt? Warum wollten sie den Meister
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