Der Traumhändler
applaudierten begeistert. Er allerdings bewegte die Lippen und schien vor sich hin zu murmeln: »Das habe ich nicht verdient! Das habe ich nicht verdient!« Dann wurde ihm ein Mikrofon angesteckt.
Unglaublich, dass dieser unrasierte Mann mit wirrem, halblangem Haar, der in einem zerbeulten Jackett mit Flicken an den Ellenbogen und einem zerknitterten gelben Hemd steckte, so beliebt war. Er redete in der Öffentlichkeit, suchte aber die Anonymität. Nach langen Ovationen wartete das Publikum nun gespannt auf seine Worte.
Der Meister warf zunächst einen schnellen Blick auf die Veranstalter, machte dann ein paar unsichere Schritte, starrte auf die Menge und begann: »Viele Leute fallen vor Königen auf die Knie, weil sie so mächtig sind, vor Millionären, weil sie so reich sind, und vor Stars, weil sie so berühmt sind. Ich aber verneige mich bescheiden vor euch allen, denn ich habe diese Ehrung nicht verdient.«
Die Menge im Stadion raste. Begeistert sprangen die Leute von den Sitzen auf und applaudierten frenetisch. Sie hatten noch nie erlebt, dass jemand, der geehrt wurde, im Gegenzug sein Publikum feierlich ehrte. Schweigend wartete der Meister, bis der Applaus verstummt war.
Doch gerade als er weitersprechen wollte, wurde er vom Moderator unterbrochen: »Meine Damen und Herren, bevor uns dieser geheimnisvolle und intelligente Mann seine großartigen Worte schenkt, möchten wir in unendlicher Dankbarkeit noch einmal Revue passieren lassen, was er für die Gesellschaft getan hat.«
Dann forderte er den Traumhändler höflich auf, sich der Leinwand zuzuwenden, um einen ungewöhnlichen Film zu sehen. Im gleichen Augenblick wurde ihm das Mikrofon abgestellt.
Wer ihm zu Ehren nun ein Naturpanorama erwartete, mit lieblichen Blumen, Bergen und Tälern, wurde herb enttäuscht, denn der Film zeigte keinen Frühling, sondern einen strengen Winter, aber im übertragenen Sinne. Was wir zu sehen bekamen, war eine dramatische Eiszeit des Geistes und der Seele.
Die Kamera fuhr auf den Haupteingang eines riesigen alten Krankenhauses zu, von dessen fleckigen, rissigen Außenwänden der Putz blätterte. Eine Texteinblendung erläuterte, dass es sich um eine der wenigen Psychiatrien handelte, die in der Region noch übrig geblieben waren. Das dreistöckige Gebäude, ein rechteckiger Klotz, war offenbar eine geschlossene Anstalt – ganz im Gegensatz zur grenzenlosen und unvorhersehbaren menschlichen Psyche. Sein Anblick kündete von Klaustrophobie und Traurigkeit und war alles andere als eine Augenweide.
Das Auge der Kamera drang nun in das Innere der Klinik vor und schwenkte auf geisteskranke Patienten. Einige führten offenbar Selbstgespräche, andere zitterten oder starrten ins Leere, weil sie mit Medikamenten ruhiggestellt worden waren. Auf den unbequemen Bänken entlang der Korridore saßen Patienten mit dem Kopf auf den Knien.
Die beängstigende Atmosphäre wurde dadurch noch gesteigert, dass die Bilder stumm waren. Der Film hatte keine Tonspur. Die Kameraführung war sehr unruhig und wirkte wie die eines Amateurs. Ab und zu wurde der Film für Sekunden unterbrochen, und es erschien das Gesicht des Meisters auf der Leinwand.
Er sah tief bekümmert aus und schüttelte immerzu den Kopf. Uns war nicht klar, ob er noch verwirrter war als wir oder ob er irgendetwas verstand, was wir nicht nachvollziehen konnten. Vielleicht taten ihm auch die Patienten leid und der Film würde später zeigen, wie er sie mit seinen Träumen, seiner Liebenswürdigkeit und Solidarität beschenkte.
Plötzlich hörte man jemanden gellend schreien: »Nein! Nicht! Haut ab!«
Das gesamte Stadion sprang erschrocken auf, als sähe es einen Horrorfilm. Offenbar war nun die Tonspur eingeschaltet worden.
Die Kamera näherte sich einer Zimmertür, die sich langsam öffnete und den Blick auf einen Patienten freigab. Er saß auf dem Bett und hielt sich die Hände vors Gesicht. Dabei schrie er ununterbrochen: »Geht weg! Weg aus meinem Leben!«
Der Mann war völlig in Panik und schien die Ungeheuer vertreiben zu wollen, die seine Psyche bedrängten. Sein Gesicht verbarg er weiterhin in den Händen und wippte mit dem Oberkörper vor und zurück wie manche autistische Kinder. Sein Haar war zerzaust, und er trug ein weißes, zerknittertes Hemd, das falsch zusammengeknöpft war. Er wirkte ungepflegt, so als ob er sich aufgegeben hätte. Die Person hinter der Kamera fragte: »Was deprimiert Sie denn so?«
Obwohl der Ton nicht gut war, konnte man hören:
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