Der Traumhändler
derart bloßstellen und seinen Ruf ruinieren? Woher kam dieser Hass auf einen doch scheinbar harmlosen Mitmenschen?
Erst später fanden wir heraus, dass angeblich eine der Reden des Meisters die Aktie des Modegiganten La Femme, der zur Megasoft-Holding gehörte, hatte abstürzen lassen. Jedenfalls kam es zu einem dramatischen Preisverfall, unmittelbar nachdem er im »Tempel der Mode« gefordert hatte, auf Kleidungsetiketten darauf hinzuweisen, dass Schönheit nicht normiert werden kann, da jede Frau ihre eigene Schönheit besitzt und sich nie mit einem Model vergleichen sollte, welches immer eine genetische Ausnahme der menschlichen Gattung darstellt.
Das Problem war dadurch entstanden, dass der Vorstandsvorsitzende des Modegiganten – einer der Veranstaltungsorganisatoren – die Forderung des Meisters in einer Presseerklärung als absurd, ja idiotisch bezeichnet hatte. Und als hätte ihm das als Angriff auf den bescheidenen Traumhändler noch nicht genügt, zitierte er anschließend einen Satz, der zeigte, wie tief das Barbiesyndrom im allgemeinen Gedankengut verankert war: »Die Hässlichen mögen es mir verzeihen, aber Schönheit ist fundamental.« Diese Verlautbarung, über die Medien international verbreitet, hatte zu erhitzten Debatten geführt sowie zu einer Kettenreaktion unter den Konsumenten, die dann zu Tausenden die unzähligen La-Femme-Filialen in aller Welt mit E-Mails bombardierten, um ihrem Abscheu Ausdruck zu verleihen. Der Aktienkurs des Unternehmens fiel in nur zwei Monaten um dreißig Prozent, was einen Wertverlust von über 1,5 Milliarden Dollar bedeutete – ein geschäftliches Desaster.
Der Wunsch nach Rache, den unter allen Lebewesen nur die Menschen kennen, zeigte seine hässliche Fratze, und für die Manager dieses Unternehmens wurde es zu einer Frage der Ehre und des Überlebens, den Mann zu demaskieren, der einen solchen Schaden angerichtet hatte. Er sollte öffentlich bloßgestellt werden, damit sie ihre verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewannen.
Unterdessen wollten wir im Stadion vor Scham im Boden versinken. All unser Mut, unsere Bewunderung und Begeisterung für den Meister und sein Projekt hatten sich in Luft aufgelöst. Obwohl ich ihn lieben gelernt hatte, fand ich jetzt nicht mehr die Kraft, ihn zu verteidigen, und verstand plötzlich, welcher Schmerz in John Lennons berühmtem Satz steckte, den er nach der Trennung der Beatles geäußert hatte: Der Traum ist aus .
Aber gerade als ich mir einbildete, unsere Bewegung wäre jetzt wohl tot, überraschte mich die couragierte Reaktion von Monika und Jurema, den beiden Frauen in unserem Team: »Es ist doch völlig egal, ob der Meister ein Psychotiker war oder noch ist. Wir waren bei ihm, als ihm applaudiert wurde, und werden auch bei ihm bleiben, wenn er ausgepfiffen wird.«
Sind Frauen stärker als Männer? Auf jeden Fall legten die beiden einen irrationalen Idealismus an den Tag.
Dann erhoben sich auch zwei Männer, um ihre Solidarität mit dem Traumhändler zu bekunden: »Wenn der Chef durchgeknallt ist, dann bin ich auch durchgeknallt!«, rief Bartholomäus. »Und außerdem – wo soll ich denn hin?«
Barnabas wollte nicht hintanstehen und verkündete: »Ob er einen weg hat, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass er es geschafft hat, dass ich mich wieder als Mensch fühle. Ich verlasse ihn bestimmt nicht! Und außerdem: Ich bin noch übergeschnappter als er!«
Und mit einem Seitenhieb auf Bartholomäus: »Aber weniger verrückt als du, Honigschnauze!«
» Thank you, amigo! «, antwortete dieser geschmeichelt.
Nun drehte sich der Traumhändler um, verließ die Bühne und ging in Richtung Ausgang. In der Menge rumorte es, und wir fürchteten, dass er gelyncht werden könnte. Doch plötzlich begannen die Leute, rhythmisch zu klatschen, zu stampfen und zu rufen: »Sprich! Sprich! Sprich!«
Das ohrenbetäubende Brausen der Sprechchöre erfüllte das ganze Stadion, und die Veranstalter wurden hektisch. Um einen Tumult zu verhindern, der ihnen nur weitere negative Schlagzeilen eingebracht hätte, stellten sie das Mikrofon des Meisters wieder an und luden ihn mit einer Handbewegung ein, auf die Bühne zurückzukommen. Sie dachten wohl, er würde nun versuchen, sich mit unglaubwürdigen Rechtfertigungsversuchen oder Anschuldigungen aus der Affäre zu winden, und sich damit erst recht lächerlich machen. Da kannten sie den Mann aber schlecht, den sie mit so viel Aufwand hatten diskreditieren wollen.
Der Traumhändler schaute ins
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