Der Traurige Polizist
Finger umklammerten den Lauf der Mauser fester.
»Sie haben Hester Clarke getötet.«
Er wollte nicht, daß sie aus dem Wagen draußen hereinkamen.
|450| Er wollte nicht die Fragen stellen, die sich hinter seinen Lippen auftürmten. Er wollte sie hierlassen und weggehen. Er wollte
auch, daß Hester Clarke tot war.
Aber er mußte es wissen.
»Als Sie meine Akte bekamen …«
Jetzt sah sie ihn an, lange, eine Reise in die Gegenwart. »Ich wußte nicht, daß es Ihre Ermittlung ist.«
Das hatte er nicht fragen wollen.
»Ich habe niemand anders zum Konzert eingeladen. Da wußte ich es schon.«
Er wollte weggehen.
Sie schaute ihn immer noch an. Ihre linke Hand löste sich von der Pistole, die rechte versteifte sich, sie hatte einen Finger
durch den Abzugbügel geschoben.
»Gehen Sie hinaus?«
Er wollte sie noch ein letztes Mal ansehen. Allein. Einen kurzen Augenblick in eine Zukunft tauchen, die anders hätte sein
können. Dann stand er auf, er rührte sich.
»Nein«, sagte er, denn sie hatte geholfen, ihn zu heilen. Er nahm ihr die Mauser aus der Hand.
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Er ging durch einen Seiteneingang des Supreme Court, um der Presse auszuweichen. Nach dem Crescendo der Verhaftung war der
Fall auf die hinteren Seiten gewandert und dann ganz verschwunden, aber sie hatten in ihre Terminkalender die Gerichtstermine
eingetragen, und nun waren sie wieder voll da.
Er hörte die Stimme hinter sich. »Captain.«
Er wartete auf der Treppe, bis Margaret Wallace ihn eingeholt hatte.
»Wie geht es Ihnen?« fragte er.
»Es dauert lange. Und Ihnen?«
»Mir geht es gut.«
Er bemerkte, daß sie gut aussah, ihre verschiedenfarbigen Augen schauten klar. Er wollte nicht zurück ins Büro gehen.
»Wollen Sie irgendwo mit mir Kaffee trinken?«
»Das wäre schön.«
Sie gingen nebeneinander im grauen Augustlicht über die Straße. Keiner wollte über das wortlose, stumme Wesen auf der Anklagebank
sprechen, wenn auch aus verschiedenen Gründen.
Am Greenmarket Square gab es eine kleine Coffeebar, er hielt ihr die Tür auf. Sie setzten sich, bestellten Kaffee.
»Ich wollte nicht kommen, doch ich wollte sie sehen. Einmal. Ich wollte ihr irgendwie sagen, daß es in Ordnung war.«
Er wollte ihr sagen, daß das keinen Unterschied machte. |452| Er hatte gerüchteweise vom Bericht des Psychiaters gehört, der am Nachmittag dem Richter vorgelegt werden würde.
»Aber sie sieht so allein aus.«
»Ja«, sagte er.
»Sie haben abgenommen.«
Er freute sich, daß sie es bemerkte. »Glauben Sie?«
»Ja.«
Ihr Kaffee kam.
»Und was haben Sie gemacht?«
»Gearbeitet.« Es stimmte. Nur gearbeitet. Erst, um sich zu verstecken. Vor allen, vor sich selbst, vor Anne Boshoff – die
ihn zweimal angerufen hatte und dann aufgab – und vor dem neuen Psychologen. Später hatte er als Teil seiner Therapie gearbeitet,
er hatte nach einem Gleichgewicht gesucht, Schritt um Schritt.
»Und ich habe aufgehört zu rauchen.«
»Das ist wunderbar.«
»Wie geht es den Kindern?«
»Jetzt besser. Aber dennoch …«
»Ich habe mein Haus verkauft.«
»Ich auch. Wir wohnen jetzt in Claremont. Ashton Village. Dort ist es sehr schön.«
»Ich bin in Table View.«
»Wieder ein Haus?«
»Nein, es ist ein …« Er suchte nach dem englischen Wort, kam schließlich darauf. »Ein Reihenhaus.«
»Sie können Afrikaans sprechen, wenn Sie möchten. Meins ist allerdings nicht sehr gut.«
»Ich finde, es klingt prima.«
Sie schwieg.
»Waren Sie je in der Oper?« fragte er.
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Informationen zum Buch
Seit dem Tod seiner Frau Lara ist Polizist Mat Joubert auf dem Weg nach unten. Er hat Übergewicht, er raucht zuviel, und neuerdings
beschweren sich sogar die Kollegen über ihn. Als aus England ein neuer Chef nach Kapstadt kommt, erhält Joubert eine ernste
Warnung: Entweder geht er zu einem Psychologen und läßt sich betreuen, oder er muß den Dienst quittieren. Während er noch
zögert, was er tun soll, beginnt ein Serienmörder mit einer alten deutschen Pistole sein Unwesen zu treiben – und plötzlich
steckt Joubert in seinem schwierigsten Fall. Für die Morde an mehreren weißen Männern gibt es scheinbar kein Motiv.
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Informationen zum Autor
DEON MEYER, 1958 geboren, wuchs in einer kleinen Goldminenstadt im Nordwesten Südafrikas auf. Nach seinem Militärdienst, der
ihn in den angolanischen Buschkrieg führte, und einem Studium arbeitete er als Reporter bei einer afrikaanssprachigen Tageszeitung.
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