Der Tristan-Betrug
der Tür war zwischen den Bahnhöfen blockiert; er konnte diese Sperre nicht überwinden, sosehr er sich auch anstrengte. Der kleine Junge, der ihn, auf den Knien seines Großvaters sitzend, anstarrte, begann zu weinen. Der Alte fing an, Metcalfe zu beschimpfen, und fuchtelte dabei wild mit den Händen.
Metcalfe versuchte es mit den Fenstern und hatte dort mehr Glück. Sie ließen sich öffnen; eines konnte er ganz hinunterschieben. Er stieg auf den Ledersitz und tastete ins Dunkel hinaus. Der Abstand zwischen Fenster und Tunnelwand betrug kaum einen Meter. Er packte zwei der von der Decke herabbaumelnden Halteschlaufen, zog sich daran hoch und schwang die Beine durchs offene Fenster. Die Fallhöhe war jedoch größer als erwartet, und er landete schmerzhaft auf grobem Schotter.
Aber er war aus dem Zug. Und jetzt . was jetzt?
Das Geschrei hielt an, wurde noch lauter, als er sich die Tunnelwand entlang weiterschob. Der einzige Lichtschein kam von den Deckenleuchten der U-Bahn-Wagen, aber er genügte, um Metcalfe die gemauerten flachen Nischen zu zeigen, die in regelmäßigen Abständen in die Wand eingelassen waren. Vermutlich konnten U-Bahn-Arbeiter sich in ihnen vor vorbeifahrenden Zügen in Sicherheit bringen.
Metcalfe erinnerte sich an die Taschenlampe, die er in seinem Rucksack hatte, und zog sie heraus. Sowie er sie einschaltete, fiel ein Schuss. Als Metcalfe sich nach vorn ins Dunkel stürzte, ließen dicht über ihm mehrere Schüsse, deren Echo durch den Tunnel hallte, Stücke vom Mauerwerk absplittern. Er warf sich herum und sah den Blonden, dessen Tokarev aus dem Fenster schräg nach unten zielte, aus dem nächsten Wagen auf ihn schießen. Der NKWD-Mann wollte ihn offensichtlich nicht mehr verhaften, sondern abknallen. Er war entschlossen, den Amerikaner nicht lebend entkommen zu lassen.
Seitlich gab es keine Ausweichmöglichkeiten: Der Abstand zwischen dem stehenden Zug und dem Mauerwerk der Tunnelwand betrug kaum einen Meter. Metcalfe konnte sich nur auf dem Schotter klein machen. Aber die regelmäßige Schießerei ging weiter. Metcalfe zog seine Pistole aus dem Hosenbund, stützte die Rechte mit der linken Hand und begann zurückzuschießen. Es gelang ihm, zwei Schüsse abzugeben, aber der Blonde wich blitzschnell vom Fenster zurück.
Dann hörte er ein neues Geräusch: Die Elektromotoren heulten auf, als der U-Bahn-Zug anfuhr. Metcalfe sprang auf, um nicht unter die Räder zu geraten, und presste sich mit dem Rücken an die Tunnelwand. Er spürte den Luftzug des anfahrenden Zuges und zuckte zusammen, als der Stahl des schneller werdenden Wagens dicht an seinem Gesicht vorbeiglitt. Im Augenblick konnte er sich nicht bewegen. Mit dem Rücken an der Tunnelwand war er verwundbar, ein stationäres Ziel. Er hob die rechte Hand, die krampfhaft den Griff seiner Pistole umklammerte, und versuchte trotz des beengten Raums, auf die Fenster des vorbeirollenden Wagens zu zielen. Aber er brachte die Waffe nicht rechtzeitig hoch.
Metcalfe sah die blassgrauen Augen seines Verfolgers, sah die im flackernden Lichtschein der anfahrenden U-Bahn aus nächster Nähe aus dem Fenster auf sein Gesicht zielende Pistole. Jetzt ist's aus, sagte er sich in diesen Zehntelsekunden: Ich kann mich nicht bewegen und nicht verteidigen. Dann ging er abrupt in die Knie, rutschte mit den Schultern das Mauerwerk entlang und verhinderte so, dass er nach vorn gegen den anfahrenden Zug fiel. Das alles lief in Sekundenbruchteilen ab: Er sah den Blonden grinsen, ein Auge zukneifen, während er zielte, und dann abdrücken; er sah weiß-orangerotes Mündungsfeuer und spürte im selben Augenblick einen fast unerträglichen brennenden Schmerz, als das Geschoss seine linke Schulter streifte.
Sekunden später war alles vorüber. Der U-Bahn-Zug verschwand in dem Tunnel, und Metcalfe lag auf dem Gleis zusammengesackt. Er tastete nach der Wunde, spürte klebriges Blut unter seiner dick wattierten Jacke. Anscheinend hatte er nur einen Streifschuss abbekommen: Die Wunde war schmerzhaft und blutete stark, aber sie war nicht schwer. Wichtig war, dass er noch lebte. Er tastete nach den Dokumenten in der Innentasche seiner Jacke; das steife Knistern der Zellophanhülle bewies ihm, dass sie noch in seiner Tasche steckten.
Metcalfe würde irgendwie entkommen müssen, aber wie? Die Entfernung zwischen Moskauer Metrobahnhöfen betrug bis zu zwei Kilometer; trotz seiner Schmerzen konnte er notfalls so weit durch den Tunnel marschieren, aber er wusste, dass
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