Der Tristan-Betrug
als stabil genug, um nicht auszureißen. Metcalfe stemmte sich mit den Füßen vom Mauerwerk ab und gelangte bis fast zur Dachtraufe des hohen, einstöckigen Gebäudes.
Links und rechts von ihm schlugen Geschosse ins Mauerwerk ein. Der NKWD-Mann gab Warnschüsse ab. »Sie entkommen mir nicht!«, rief der Russe. »Mit dem nächsten Schuss setze ich Sie außer Gefecht! Der trifft Sie, wenn Sie nicht umkehren und runterkommen!«
Als Metcalfe jedoch trotzdem weiterkletterte, trat eine Feuerpause ein; er hörte, wie der Russe ein leeres Magazin wegwarf, das metallen auf dem Pflaster schepperte, dann hörte er, wie die Pistole durchgeladen wurde. Metcalfe erreichte den Dachsims, der aber unter seinen Händen wie Mürbteig zerbröckelte. Er griff nach der Kupferdachrinne, die stabiler wirkte, zog sich daran hoch und benützte sie, um sich über die niedrige Brüstung aufs Flachdach des Gebäudes zu wälzen. In diesem Augenblick traf der nächste Schuss die Dachbrüstung dicht neben seinem Kopf. Der Russe schoss jetzt auf ihn! Dies waren keine Warnschüsse mehr.
Das Gebäude war sieben bis acht Meter tief, sein flaches Dach eine holperige Fläche aus dick geteerter Dachpappe, aus der scheinbar ohne System und Ordnung Schornsteine, Entlüftungsrohre und der Rand einer Dachluke ragten. Als Metcalfe auf die andere Seite hinüberrannte, rutschte er auf dem vereisten Dach aus, doch zum Glück bewahrte ihn die niedrige Brüstung vor dem Absturz. Unten lag eine schmale Straße mit sich kreuzenden Straßenbahngleisen; eine Feuertreppe, die hier an der Außenwand hinunterführte, war ein erfreulicher Anblick. Hinter sich konnte er die verhallenden Schritte des NKWD-Agenten hören. Da der Russe offenbar wusste, welche Fluchtmöglichkeit sich Metcalfe hier bot, rannte er die Gasse entlang zurück, um auf der Puschkinstraße um das Gebäude zu laufen und auf diese Querstraße mit den Straßenbahngleisen zu gelangen. Aber weshalb war er allein? Diese Männer operierten stets in Gruppen, und eine Gruppe hätte jetzt den Ausschlag gegeben: Wären andere Männer an Ort und Stelle gewesen, dann hätten sie Metcalfe den Fluchtweg abschneiden können! Auch wenn er für diese Tatsache dankbar war, wunderte er sich doch darüber, dass speziell dieser NKWD-Mann, der seine Kollegen bei weitem übertraf, ein Einzelgänger sein sollte. Aber dann erkannte er, dass das nicht stimmte: Auch dieser NKWD-Agent operierte nicht allein; er war seinen Männern nur weit voraus. Andere würden bald nachkommen.
Metcalfe war mit einem Satz bei der rostigen Feuertreppe und bewältigte den Abstieg in kürzester Zeit, indem er sich an den Sprossen hinunterhangelte. Wenige Sekunden später war er auf der Straße und rannte die Straßenbahngleise entlang davon. Nach vierzig bis fünfzig Metern mündete diese schmale Straße auf eine breitere Avenue. Als er sich wild nach beiden Seiten umsah, weil er nicht wusste, in welche Richtung er flüchten sollte, konnte er bereits rennende Schritte hinter sich hören.
Schräg rechts vor ihm lag der Eingang zu einer Unterführung. Er rannte darauf zu. Dies war eine Fußgänger-Unterführung, wie sie in Moskau wegen des zunehmenden Autoverkehrs in letzter Zeit häufiger gebaut wurden. Er stürmte die Treppe hinunter, nahm dabei je zwei Stufen auf einmal und sah dann den Zugang zur Metro.
Metcalfe war noch nie mit der hiesigen Metro gefahren - auch sie hatte es bei seinem ersten Moskaubesuch noch nicht gegeben -, aber wenn sie der Pariser Metro auch nur halbwegs ähnlich war, bestand sie aus einem weit verzweigten Tunnelsystem, in dem er seinen Verfolger abhängen konnte. Das war riskant, aber jetzt war alles gefährlich, und kein Risiko war mit der Gefahr zu vergleichen, mit den gefälschten Dokumenten in der Tasche verhaftet zu werden. Während er durch die reich geschmückte Marmorhalle zu den Drehkreuzen rannte, sah er sich nach Abfallkörben um, in die er die gefälschten Schriftstücke werfen konnte, aber ausgerechnet hier waren keine zu sehen.
An einem Schalter in der Nähe der Drehkreuze wartete eine lange Menschenschlange; etwas kürzere Schlangen, die sich rascher bewegten, warteten vor den einzelnen Drehkreuzen. Kauften diese Leute Metallmarken als Fahrausweise? Er hatte keine Ahnung, ob man Marken oder Münzen brauchte, und keine Zeit, das herauszufinden. Ein Blick in die Runde zeigte ihm nur zwei Polizistinnen, sodass er glaubte, es riskieren zu können. Er rannte an einer der Schlangen vorbei und setzte mit
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