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Der Tristan-Betrug

Titel: Der Tristan-Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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abgestellt worden. An einer Verkehrsampel hätte Ilja ihn nie abgestellt. Metcalfe horchte auf irgendein Signal, vielleicht auf Stimmen. Aber draußen war nichts zu hören.
    Metcalfe stand auf und kletterte hinter eine der großen Leinwände, um unsichtbar zu sein, falls der Kastenwagen durchsucht wurde. Er blieb zwischen zwei Kulissenteilen stehen und wartete.
    Die Hecktür des Kastenwagens wurde aufgerissen und grelles gelbliches Licht überflutete sein Inneres. Metcalfe blieb bewegungslos stehen und hoffte, eine etwaige Durchsuchung des Fahrzeugs werde rasch und flüchtig vorgenommen werden. Jeder Kontrolleur würde Kulissen aus dem Bolschoi sehen, sich damit zufrieden geben und die Tür wieder zuknallen, damit sie weiterfahren konnten.
    Warum?, fragte er sich. Warum sind wir angehalten worden?
    »Er ist dort hinten!«, rief eine Stimme.
    Das war Iljas Stimme; Metcalfe erkannte sie deutlich.
    Dann waren weitere Stimmen zu hören, denen hohle Schritte folgten, als jemand auf den Blechboden des Kastenwagens kletterte. Metcalfe erstarrte. Er hörte wieder die Stimme, die er für Iljas hielt: »Glaubt mir, er ist dort drinnen.«
    Aber das konnte nicht Ilja sein! Und falls er 's doch war - mit wem sprach er?
    Die bemalte Leinwand wurde weggerissen, sodass Metcalfe exponiert dastand. Zwei Männer hielten Taschenlampen auf ihn gerichtet. Zwei uniformierte Männer. In Bolschoi-Uniformen? Waren sie Wachleute?
    Nein. Er erkannte die Uniformen, das Schlange-und-Dolch-Emblem auf den Schulterstücken. Aber er konnte sich keinen Reim darauf machen!
    Die beiden Männer packten ihn, zerrten ihn aus dem Laderaum. Widerstand war zwecklos, das sah Metcalfe sofort: Das Fahrzeug war von Uniformierten umgeben. Ilja rauchte eine Zigarette und sprach mit einigen von ihnen, wobei seine ungezwungene Art erkennen ließ, dass diese Männer ihm nicht aufgelauert hatten. Er war nicht in eine Straßenkontrolle geraten. Dies waren Leute, die er kannte, oder zumindest Leute, in deren Gegenwart er sich wohl fühlte: Männer mit denen er zusammenarbeitete.
    Das Fahrzeug stand auf einem Innenhof, den Metcalfe bisher nur von unscharfen Fotos kannte. Ein Ort, von dem er nie geglaubt hätte, dass er ihn einmal mit eigenen Augen sehen würde.
    Handschellen schlossen sich klickend um seine Gelenke; er wurde, von Uniformierten umringt, weitergestoßen.
    »Ilja!«, rief Metcalfe. »Klären Sie dieses Missverständnis auf!«
    Aber Ilja kletterte bereits wieder ins Fahrerhaus seines Kastenwagens. Er warf seine Zigarette auf den betonierten Hof und winkte den Männern freundlich zu, bevor er den Motor anließ und davonfuhr.
    Die Wachen schoben Metcalfe durch ein Torgewölbe, dessen gelbes Klinkermauerwerk ihm entsetzlich vertraut war.
    Er war im NKWD-Hauptquartier.
    In der Lubjanka.

Kapitel Dreißig
    Von einem Albtraum zu sprechen, wäre nicht treffend gewesen: Albträume enthalten stets den winzigsten Kern der Erkenntnis, dass sie lediglich Träume sind, dass man aus ihnen erwachen kann und von allen Schrecken befreit sein wird. Metcalfe wusste, dass dies kein Albtraum war. Es war Wirklichkeit, seine Realität, und das Schlimmste daran war, dass es keinen Ausweg gab. Bei seiner Arbeit für Alfred Corcorans Organisation war er im letzten Jahr mehr als einmal in verdammt gefährliche Situationen geraten. Er war kurz davor gewesen, enttarnt zu werden, wäre mehrmals um ein Haar verhaftet worden. Er war angeschossen, beinahe erschossen worden. Und Freunde oder Menschen, die er sehr schätzte, waren ermordet worden.
    Aber das alles verblasste jetzt zur Bedeutungslosigkeit.
    Er befand sich in einer Zelle des berüchtigten Lubjanka-Gefängnisses; er war in einer anderen Welt, aus der keine Flucht möglich war, in der ihm seine Fertigkeiten, die ihm schon oft aus der Klemme geholfen hatten, nichts mehr nützen würden. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon in dieser Zelle war: Zehn Stunden? Zwanzig? Es gab keine Möglichkeit, die Zeit zu messen: keine auf- und untergehende Sonne, keinen geregelten Tagesablauf, keine Regelmäßigkeit von Vorgängen.
    Metcalfe war in einer schmalen unterirdischen Einzelzelle untergebracht, die ungeheizt und eiskalt war. Er lag auf einem eisernen Feldbett, dessen kaum fünf Zentimeter dicke Matratze nach den unzähligen Gefangenen stank, die schon auf ihr gelegen hatten. Die kratzige graue Wolldecke war viel zu kurz; sie reichte nur aus, um ihn von den Füßen bis zur Taille zu bedecken, während der Oberkörper frei blieb.
    Er

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