Der Tristan-Betrug
Skandal. Die Namen aus der Moskauer Führungsriege, mit denen Metcalfe Industries geheime Geschäftsverbindungen hatte - Männer, die noch höher stehen als Ihr Vorsitzender Berija -, nun, das sind Männer, an deren Verleumdung Sie gewiss nicht beteiligt sein möchten. Vor allem nicht jener Mann, den niemand verärgern möchte.«
Er drehte den Kopf zur Seite und starrte angelegentlich das gerahmte Stalinporträt an der Wand an. Rubaschow interessierte sich dafür, wohin Metcalfe blickte; dann huschte ein Ausdruck unverkennbaren Entsetzens über sein aschfahles Gesicht. Das war ein Ausdruck, den Metcalfe nie auf dem Gesicht eines hohen NKWD-Offiziers zu sehen erwartet hätte.
»Damit würden Sie praktisch Ihr eigenes Todesurteil unterschreiben«, fuhr Metcalfe fort. Er zuckte mit den Schultern. »Was Sie tun oder lassen, kann mir allerdings völlig gleichgültig sein. Schließlich haben Sie mich zum Reden gezwungen, nicht wahr?«
Rubaschow drückte auf den Klingelknopf an seinem Schreibtisch, um die Wachen zu rufen.
BERLIN
Als Admiral Wilhelm Canaris seinen Vortrag beendet hatte, waren die Männer an dem langen Konferenztisch wie vom Donner gerührt. Sie hatten sich im Konferenzsaal der Neuen Reichskanzlei versammelt, die Albert Speer, der Lieblingsarchitekt des Führers, nach seinen Vorgaben erbaut hatte. Draußen wütete ein Schneesturm.
In einer Nische über ihnen stand eine Bismarckbüste aus Marmor. Keiner der Anwesenden, nicht einmal Hitler, wusste, dass dies eine Kopie des Originals war, das viele Jahre in der Alten Reichskanzlei gestanden hatte. Beim Transport in das neue Gebäude war das Original heruntergefallen und am Hals abgebrochen. Speer hatte dem Bildhauer heimlich den Auftrag erteilt, eine identische Kopie herzustellen, die dann in Tee getaucht wurde, um ihr Alterspatina zu verleihen. Der Architekt hatte diesen Unfall, bei dem die Büste zerstört worden war, für ein schlechtes Omen gehalten.
Die Männer am Konferenztisch vertraten die militärische Führungsspitze des Dritten Reichs. Sie waren zusammengekommen, um über die Vor- und Nachteile des erwogenen Angriffs auf die Sowjetunion zu diskutieren.
Ein Überfall auf Russland wurde noch von vielen abgelehnt. Männer wie General Friedrich von Paulus, Feldmarschall Wilhelm Keitel und General Alfred Jodl hatten warnend eingewandt, die Wehrmacht sei auf anderen Kriegsschauplätzen schon allzu stark beansprucht.
Die alten Argumente waren wieder einmal vorgebracht worden. Deutschland dürfe sich nicht in diesen Treibsand begeben. Stattdessen sollte es Russland neutralisieren, es im Zaum halten und dafür sorgen, dass es nicht gefährlich werden könne. Aber die Geheimdienstberichte aus Moskau bewirkten einen Stimmungsumschwung.
Die Atmosphäre im Konferenzsaal wirkte wie elektrisch aufgeladen.
Das Unternehmen Grosa hatte alles verändert. Stalin plante einen heimlichen Angriff. Sie mussten ihm zuvorkommen.
Der erste Einwand kam von SS-Gruppenführer Heydrich, dem Chef des Reichssicherheits-Hauptamts. »Wer garantiert uns, dass diese Informationen uns nicht vom Feind zugespielt worden sind, um uns zu täuschen?«, fragte er.
Admiral Canaris sah zu dem großen, unheimlich wirkenden Sicherheitschef mit der langen, schmalen Nase und dem Reptilienblick hinüber. Er kannte Heydrich gut. Sie waren Nachbarn, verkehrten gesellschaftlich miteinander. Heydrich, ein ausgezeichneter Geiger, machte im Hause Canaris oft Kammermusik mit Frau Canaris, die ebenfalls Geige spielte. Canaris wusste, dass der jüngere Mann ein barbarischer Fanatiker war, dem man nicht trauen durfte. Ein Einwand dieser Art war genau das, was von Heydrich zu erwarten war. Er wollte vor dem Führer demonstrieren, wie ausgezeichnet er sich auf das Spionagegeschäft verstand.
»Meine Leute haben die Schriftstücke genau geprüft, und ich stelle sie Ihrem Stab gern zur Verfügung«, antwortete Canaris gelassen. »Sie werden feststellen, dass sie echt sind.«
»Ich frage mich nur, weshalb der NKWD die undichte Stelle noch nicht entdeckt hat«, fasste Heydrich nach.
General von Paulus wandte ein: »Auch sonst gibt es keine Anzeichen dafür, dass Stalin einen Angriff auf uns plant. Wir können keine Mobilmachung, keine Truppenverlegungen feststellen. Weshalb sollten die Russen uns den Gefallen tun, im Osten anzugreifen?«
»Weil Stalin sich ganz Europa unterjochen will«, stellte Jodl fest. »Danach strebt er schon immer. Aber das werden wir verhindern. Dass wir einen Präventivschlag
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