Der Tristan-Betrug
gegen Russland führen müssen, steht außer Frage. Mit achtzig bis hundert Divisionen können wir Russland in vier bis sechs Wochen niederwerfen.«
Kapitel Einunddreißig
Die Straßen waren dunkel, mit frisch gefallenem Schnee bedeckt, der nächtliche Verkehr schwach, alle Geräusche gedämpft. Eine Straßenuhr zeigte Metcalfe, dass es wenige Minuten vor Mitternacht war. Vor ihm lagen die Krymskaja-Uferstraße und dann die imposante Krymskij -Brücke, die erst vor zwei Jahren fertig gestellte längste Hängebrücke Europas, die den Fluss Moskwa überspannte.
Als Metcalfe sich ihr näherte, sah er in der Brückenmitte auf dem Gehsteig eine einzelne Gestalt stehen. Eine Frau im Wintermantel, zu dem sie ein Kopftuch trug. Das musste Lana sein, ganz ohne Zweifel. Sein Herzschlag wurde unwillkürlich schneller. Trotz der eisigen Nachtluft beschleunigte er sein Tempo, aber er konnte nicht rennen, noch nicht wieder; seine Beine, seine Rippen schmerzten bei jeder Bewegung. Die Nachwirkungen der in der Lubjanka erlittenen Misshandlungen begannen erst allmählich abzuklingen. Der Wind pfiff durch seine erbärmliche, zerschnittene Kleidung, die praktisch nur noch aus Lumpen bestand.
Chefermittler Rubaschow hatte seine sofortige Entlassung und die Vernichtung der über ihn angelegten Akte verfügt. Mit Ausnahme der Pistole hatte er sein gesamtes persönliches Eigentum zurückerhalten. Trotzdem fühlte Metcalfe sich nicht als Sieger; er empfand nur eine Leere, eine eher wachsende Gefühllosigkeit.
Die Moskwa war still und floss träge dahin; der Vollmond wurde auf ihrer Oberfläche in eine Million Scherben aufgesplittert. Mondschein glänzte auf den silberfarbenen Ketten und Stahlträgern der Brücke. Einzelne Autos oder Lastwagen, die sie überquerten, ließen sie kaum merklich erzittern.
Die Strecke bis zu Lana erschien ihm endlos lang; sie war so fern, und er konnte sich nur mühsam voranschleppen. Lana stand mit dem Rücken zu ihm, blickte übers Wasser und schien in Gedanken versunken zu sein. Vor knapp einer Stunde hatte er von einer Telefonzelle aus im Bolschoitheater angerufen. Als sie seine Stimme hörte, hatte sie erschrocken nach Luft geschnappt und dann ausgerufen: »Mein Liebster, mein Herz, wo bist du gewesen?« Knappe Worte wurden gewechselt, kryptische Ausdrücke verwendet, ein Rendezvous vereinbart, ohne einem etwaigen Lauscher Hinweise auf den genauen Treffpunkt zu geben.
Metcalfe schämte sich, dass er Lana in einer Anwandlung von Schwäche verdächtigt hatte, sie könnte etwas mit seiner Verhaftung zu tun gehabt haben. Das konnte einfach nicht sein. Hatte sie ihn verraten, wie konnte er dann an die unveränderlichen Naturgesetze glauben? Wie konnte er ans Gesetz der Schwerkraft, an die Existenz von Sonne und Mond glauben?
Sie drehte sich um, sah ihn mit schleppendem Schritt herankommen und rannte ihm entgegen. Als sie nahe genug heran war, um sein Gesicht sehen zu können, schrie sie auf und umarmte ihn dann ungestüm.
Er stöhnte. »He, Vorsicht, das tut weh.«
»Was haben sie dir angetan?« Sie lockerte ihre Umarmung, hielt seinen schmerzenden Körper zart umfasst. Sie küsste ihn, und er ruhte lange in ihren Armen; er roch ihr Parfüm, spürte die Wärme ihrer Lippen. Er fühlte sich eigenartig sicher, obwohl er recht gut wusste, dass es für seine Liebste und ihn in Moskau nirgendwo Sicherheit gab. »Dein Gesicht ...« Ein Schluchzen erschütterte ihren Körper. »Stiwa, sie haben dich misshandelt!«
»Sie nennen es >überzeugen<. Sie haben mir erklärt, die Lubjanka sei ein Kurhotel, und ich habe am eigenen Leib erfahren, dass sie Recht haben. Aber es hätte viel schlimmer kommen können. Und ich habe Glück gehabt - ich habe überlebt.«
»Du warst in der Lubjanka! Ich wusste nicht, wo du warst -ich habe Ilja gefragt; er hat mir erzählt, dass die Polizei ihn angehalten, den Wagen durchsucht, dich entdeckt und verhaftet hat. Er hat gesagt, er habe sie nicht daran hindern können, er sei völlig hilflos gewesen. Der arme Kerl hatte schreckliche Angst; er hat mir aufrichtig Leid getan. Freunde von mir waren bei der Polizei, haben Auskunft über deine Verhaftung gefordert. Aber die Polizei hat behauptet, nichts von dir zu wissen. Nach drei Tagen hat eine Freundin im Gefängnis Lefortowo nachgefragt, wo man angeblich ebenfalls nichts von dir wusste. Aber hierzulande lügen alle; ich wusste nicht, was passiert war, konnte nirgends eine Auskunft bekommen. Du warst fünf Tage lang verschwunden! Ich
Weitere Kostenlose Bücher