Der Tristan-Betrug
dachte, du seist nach Sibirien geschickt oder sogar hingerichtet worden!«
»Dein Freund Ilja ist ein stukatsch«, sagte Metcalfe. Ein Polizeispitzel.
Sie riss erschrocken die Augen auf und brachte lange kein Wort heraus. »Das habe ich nicht geahnt, sonst hätte ich ihn nie auch nur in deine Nähe gelassen, Stiwa, das musst du mir glauben!«
»Ich glaube dir.«
»So viele Ungereimtheiten, die mir im Lauf der Jahre aufgefallen sind, so viele seltsame kleine Details, die jetzt einen Sinn ergeben. Dinge, die ich ignoriert habe. Er verkauft manchmal Eintrittskarten auf der Straße, was natürlich illegal ist, aber er scheint sich dabei nie besonders vorzusehen. So viele kleine Dinge, die ich übersehen habe, obwohl sie mich hätten warnen sollen!«
»Das konntest du nicht ahnen. Wie lange arbeitet er schon für dich?«
»Wir kennen uns schon seit Jahren, aber mein Assistent ist er erst seit ein paar Monaten. Er war immer sehr freundlich zu mir. Vor vier oder fünf Monaten hat er angefangen, meine Nähe zu suchen, mir behilflich zu sein, mir Gefälligkeiten zu erweisen. Eines Tages hat er gesagt, er würde sich gern als mein persönlicher Assistent einteilen lassen, wenn mir das recht sei, und ich war natürlich ...«
»War das vor oder nach Beginn deiner Liaison mit Rudolf von Schüssler?«
»Hmmm, ja, kurz danach, aber . Ja, natürlich, das war bestimmt kein Zufall. Der NKWD wollte mich eng überwachen und hat dazu Ilja auf mich angesetzt.«
»Von Schüssler ist ein deutscher Diplomat, eine wichtige potenzielle Geheimdienstquelle, und du bist eine berühmte Tänzerin. Aus der Sicht des NKWD waren die Risiken und das Potenzial zu groß, sie mussten jemanden auf dich ansetzen.«
»Aber Kundrow .«
»Er gehört zur GRU, dem militärischen Nachrichtendienst, einer konkurrierenden Organisation. Beide wollten eine eigene Quelle; beide arbeiten unterschiedlich, der NKWD allerdings verdeckter. Aber hör mir jetzt gut zu, Lana. Ich muss dich nochmals fragen; ich möchte, dass du ernsthaft darüber nachdenkst, denn mir ist klar, dass das eine schwierige Entscheidung ist. Ich möchte, dass du mit mir kommst.«
»Nein, Stiwa. Das kann ich nicht. Darüber haben wir schon gesprochen - du weißt, dass ich das nicht kann. Ich werde meinen Vater nicht verlassen, ich werde Russland nicht verlassen. Ich kann nicht! Das musst du verstehen!«
»Lana, hier bist du deines Lebens niemals sicher!«
»Dies ist meine Heimat, dieses schreckliche Land, das ich liebe.«
»Kommst du jetzt nicht mit, lassen sie dich niemals ausreisen.«
»Nein, Stiwa, das stimmt nicht. Schon in ein paar Tagen wird mein Ballettkorps zu einer Freundschaftstournee nach Berlin geschickt, wo wir vor der Elite Hitler-Deutschlands auftreten sollen. Solche Auslandsreisen werden wir immer machen dürfen.«
»Und du bleibst trotzdem eine Gefangene. Berlin ist ebenso ein Gefängnis wie Moskau, Lana.«
In diesem Moment war hinter ihm ein metallisches Klicken zu hören: das unverkennbare Geräusch, mit dem eine Pistole durchgeladen wurde.
Metcalfe fuhr herum. Selbst im Dunkeln waren ihm die blassgrauen Augen und das blonde Haar ebenso schrecklich vertraut wie der triumphierende Gesichtsausdruck des NKWD-Agenten, der ihn jetzt mit der Waffe bedrohte.
Der Blonde war lautlos herangekommen; seine Schritte waren durch die verkehrsbedingten Schwingungen der Brücke und das völlige Aufgehen der Liebenden ineinander für sie unhörbar geblieben.
Metcalfe griff instinktiv nach der eigenen Pistole. Aber dann fiel ihm ein, dass er keine mehr hatte. Sie war in der Lubjanka beschlagnahmt worden.
»Hände hoch«, sagte der NKWD-Mann. »Beide.«
Metcalfe lächelte nur. »Sie überschreiten Ihre Kompetenzen. Oder niemand hat sich die Mühe gemacht, Sie zu informieren. Vielleicht wär's eine gute Idee, Rücksprache mit Ihren Vorgesetzten zu nehmen, bevor Sie sich blamieren. Rubaschow könnte Ihnen beispielsweise .«
»Maul halten!«, befahl der Geheimpolizist ihm grob.
»Ihre Lügen über Berija haben vielleicht ausgereicht, um einen schwachen, feigen Karrieremacher wie Rubaschow einzuschüchtern, aber zum Glück unterstehe ich Berijas Dienststelle direkt. Und jetzt Hände hoch! Sofort!«
Die beiden gehorchten. »Sie wollen sich also tatsächlich blamieren«, sagte Metcalfe. »Sie lassen nicht locker, Sie haben diese Sache zu Ihrem persönlichen Anliegen gemacht und weigern sich, Ihren Irrtum einzugestehen. Sie scheinen zu vergessen, dass Sie nur ein gewöhnlicher
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