Der Triumph der Heilerin.indd
herreiten, seinen Namen und seine Titel ausrufen und in silberne Posaunen blasen. »Macht Platz für Henry, König von Gottes Gnaden von England, Frankreich, Irland und Wales. Herr von ...«
Ehrenvolle Titel waren das, doch die Zeit dieses alten Mannes war bald abgelaufen, das wussten alle, die an diesem Tag die Straßen säumten, und auch George Neville wusste es, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Die Londoner wussten ebenfalls, dass Edward Plantagenet nicht mehr fern war, und allein dieses Wissen machte die armselige Parade verflossener Macht peinlich. Alle hatten davon gehört, wie Edward von York aus nach Süden gezogen war und auf seinem Weg Tausende von Anhängern um sich scharen konnte. In dieser Situation hofften viele, dass er vor der alten Königin in London eintreffen würde. Margaret von Anjou steckte immer noch auf der anderen Seite des Kanals fest. Endlich gab es etwas, worauf sich die Londoner freuen konnten, denn Edward, ihr junger König, würde sie vor der alten Königin und ihren wilden Horden schützen. In diesen Zeiten, wo alles drunter und drüber ging, gab es nicht viel, worauf sie sich verlassen konnten, aber dessen waren sie sich wohl gewiss.
Dann kam der Augenblick, den George Neville am meisten fürchtete. Die Londoner wandten sich einer nach dem anderen ab und sperrten ihre Fenster und Türen zu. Bald waren die Straßen nahezu menschenleer. Dem alten König schien das nicht aufzufallen, wohl aber dem Erzbischof, dessen Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Das Schicksalsrad drehte sich wieder, er hörte das Knirschen seiner eisernen Felge .
Der lehmbespritzte Herold kam so schnell in das Jerusalemzimmer gerannt, dass er über die Steinfliesen schlitterte. Er achtete nicht auf die Spuren, die seine Stiefel und Sporen auf dem Boden hinterließen, sondern kniete vor Elizabeth Wydeville nieder. Der Schmutz tropfte auf ihre Rockschöße, aber das focht sie in diesem Moment nicht an.
»Was gibt es Neues? Wo ist der König?«
Der Mann war wie betäubt, aber er jubelte. »Keine zehn Leagues von der Stadt entfernt, Lady. Und mit ihm ein riesiges Heer. Viele, sehr viele Anhänger.«
»Clarence?«
»Auch Clarence.«
»Gott sei Dank. Gepriesen seist du, o Herr!«
Es war ein schriller Jubelschrei, und Elizabeth Wydeville, die einstige Königin, die bald wieder Königin sein sollte, fiel neben dem Herold auf die Knie, unbeachtet des Schmutzes und der Nässe. Sie bekreuzigte sich mit solcher Inbrunst, dass man das Glück auf ihrem Gesicht beinahe als Qual hätte deuten können. Ihr neugeborener Sohn Edward war darüber so erschrocken, dass er in den Armen seiner Großmutter zu wimmern begann und hinausgebracht werden musste.
»Heilige Mutter Maria, Mutter der Betrübten, Mutter Gottes mein, erhöre mich. Hilf dem König auf seinem Weg, ich flehe dich an. Bring ihn hierher zu mir, auf dass er endlich unseren Sohn, den Prinzen, sehen möge.«
»Amen«, stimmte Elizabeths Beichtvater ein, der eben eingetreten war. Bruder Peter, ein Dominikanermönch, wurde wegen seiner unangenehmen, schmierigen Art hinter seinem Rücken auch Bruder Entenschiss genannt. Seit dem vergangenen Oktober war er nicht mehr gesehen worden, er hatte »Rückzug gehalten«, wie er es ausdrückte. Aber vor kurzem war er wieder in der Abtei aufgetaucht, Gott habe ihn aus der Wildnis gerufen, um der Königin beizustehen, erklärte er.
Elizabeth äußerte sich nicht dazu. Sie begrüßte ihn, als wäre er Tage, nicht Monate fort gewesen. Der Wind drehte sich, und dieser Zugvogel war der Beweis dafür. Sie verabscheute ihn, sie hasste seinen Opportunismus, und trotzdem versetzte ihr seine Gegenwart einen Freudenstich. Mit Bruder Peter wollte sie sich später befassen.
Andächtig bekreuzigte sich die Königin ein letztes Mal, und dann brach in der heiligen Stätte der Westminster Abbey ein Sturm der Betriebsamkeit los.
»Ich muss angekleidet werden! Mutter, wo bist du?«
Dem Beichtvater kamen die Frauen wie schnatternde Gänse vor, als sich der vornehme Salon des Abts mit zwitschernder Aufregung füllte und Elizabeth Wydeville sich ungeachtet der priesterlichen Gegenwart das schlichte Gewand aus erdigem Samt vom Leibe riss, das sie bei ihren morgendlichen Gebeten im Kreis ihrer wenigen Hofdamen zu tragen pflegte. Bruder Peter, ein erfahrener Höfling, erkannte, dass er im Moment nicht mehr benötigt wurde. An diesem Tag würden die Damen nicht mehr beten wollen. Nun galt es, dem Mammon zu dienen, und dafür mussten Frisur
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