Der Triumph der Heilerin.indd
treu ergeben gewesen und verdiente einen höflichen Umgangston, auch wegen ihres mächtigen Vaters, der im Norden ein wichtiger Unterstützer des Königs war.
»Würde der Königin dies zusagen?« Lady Leonora breitete ein zwischen Violett und Purpur changierendes, zartes Kleid aus Seidensamt aus. Der Stoff glitzerte silbern, als das Mädchen ihn durch seine Finger gleiten ließ. Ein tiefes Seufzen ging durch den Raum.
»Oh, das hatte ich ganz vergessen. Wo habt Ihr es gefunden, Leonora?«
»Es hing im Vorraum zur Privatgarderobe des Abts, Euer Majestät. Dort hängen viele Eurer Kleider, schon von Anfang an.« Sie meinte, als die Frauen mit der hochschwangeren Königin in der Abtei Zuflucht gesucht hatten.
»Der arme Abt. Wir haben wirklich schon viel zu lange seine Räume in Beschlag genommen. Er wird froh sein, wenn wir endlich wieder in unserem rechtmäßigen Domizil weilen!«
Die Frauen lachten unbeschwert und aus ganzem Herzen, das erste Mal seit sehr langer Zeit. Ja, alle wären froh, den Abt Thomas Milling wieder allein zu lassen. Und er wäre bestimmt besonders froh, das Jerusalemzimmer wieder benützen zu können.
»Ob es mir passt?« Ängstlich musterte die Königin das herrliche Kleid, das Leonora zum Fenster hielt.
Jacquetta nickte energisch. »Natürlich, Euer Majestät. Wollen Majestät es anprobieren? Doch zuerst« - sie wandte sich zu den Frauen um - »geht. Geht alle hinaus. Sofort! Und bereitet euch auf die Rückkehr unseres rechtmäßigen Königs vor, wie es sich für Untertanen geziemt. Geht und betet!«
Elizabeth zog erleichtert die Luft ein und musste beinahe l ächeln, konnte sich im letzten Moment aber zurückhalten. Ihre Mutter sollte nicht glauben, sie hätte plötzlich irgendeinen Einfluss auf sie, nur weil sie instinktiv genau verstand, was Elizabeth wollte. In diesem Fall war sie ihr dankbar, dass sie das Kleid ohne die übliche Weiberschar anprobieren konnte. Auf diese Weise würden nur sie und ihre Mutter wissen, wenn dem herrlichen Kleid dasselbe Schicksal beschieden wäre wie dem weißen.
Jacquetta näherte sich ihrer Tochter mit ehrerbietiger Miene. Das Kleid lag über ihren Händen wie eine Opfergabe für die Heilige Jungfrau.
Mit königlicher Miene empfing Elizabeth die mütterliche Gabe. Sie wollte den Bauch einziehen, bis das Kleid passte - und es musste eng geschnürt werden. Und sie wollte nichts mehr essen, bis der König zu ihr zurückkehrte. Das half bestimmt, denn sie war die Königin, und wenn sie es wünschte, war sie dünn. Edward würde sie immer noch lieben, sie und ihre kleinen Prinzessinnen und seinen Sohn, ihren rechtmäßigen Erben. Bald würde die Welt wieder in Ordnung sein. Sie würde wieder Königin sein, und ihr rechtmäßiger Platz im Bett des Königs würde ihr sicher sein. Und auch in seinem Herzen. Sie würde den Platz in seinem Herzen wieder einnehmen, weil sie ihm diesen kostbaren Knaben geschenkt hatte.
Elizabeth Wydeville lächelte, als Jacquetta den geschmeidigen Samt über ihre Schultern, ihre Brüste, ihre Hüften gleiten ließ. Es passte wie eine Schlangenhaut. Die Königin jubelte innerlich.
Wo war Anne de Bohun jetzt? Verloren und vergessen, seit langem schon. Und sie, Elizabeth, hatte gewonnen.
Kapitel 55
Durch die Mithilfe einiger Frauen aus Wincanton the Less machte Herrard Great Hall schließlich einen wohnlichen Eindruck. Das heißt, jener Teil des Anwesens, in dem Anne wohnen wollte, war mit Asche und Flusssand geschrubbt und die Wände mit Kalkfarbe geweißt worden. Die Farbe hatten sie selbst aus zerstoßenen und gebrannten Muscheln (das Meer war nicht weit entfernt) und pulverisiertem, weißem Lehm vom Flussufer gemischt. Auch frische Binsen waren ausgelegt worden, und ihr zarter Duft zog wie eine Sommerbrise durch das Gebäude.
Ganz langsam entstand Ordnung auf Annes Anwesen, in ihrem Haus, ihrem Land. Als Erstes, nachdem sie die Bewohner von Wincanton the Less bewirtet hatte, suchte sie den Dorfältesten, Long Will, auf, um sich zu informieren, wer am dringendsten Nahrungsmittel benötigte. Und als sie bei dieser Gelegenheit von der jüngsten Vergangenheit des Dorfs erfuhr, wurde sie immer wütender.
Als sie ins Exil gegangen war, hatte Edward Plantagenet ihr versprochen, ihre Ländereien von Beauftragten der Krone weiterhin verwalten zu lassen. Dieses Versprechen war wohl in den ersten zwei Jahren eingehalten worden, aber als das Land immer mehr in Kriegswirren versank, hatten die Männer ihre Arbeit, für die sie
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