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Der Trost von Fremden

Titel: Der Trost von Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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waren. Sie führten ihre Auseinandersetzungen schweigend, und Versöhnungen wie diese waren ihre intensivsten Augenblicke, und dafür empfanden sie tiefe Dankbarkeit.
    Sie dösten, dann zogen sie sich rasch an. Während Colin ins Bad ging, kehrte Mary auf den Balkon zurück, um zu warten. Die Hotelreklame war ausgeschaltet worden. Die Straße unten lag verlassen, und auf dem Ponton räumten zwei Ober die Tassen und Gläser ab. Die wenigen Gäste, die noch blieben, tranken nichts mehr. Colin und Mary hatten das Hotel noch nie so spät verlassen, und von dem, was folgte, sollte Mary vieles diesem Umstand zuschreiben. Sie schritt ungeduldig den Balkon auf und ab und atmete den muffigen Geruch der Geranien ein. Jetzt hatten keine Restaurants mehr auf, doch auf der anderen Seite der Stadt gab es, falls sie sie fanden, eine bis spät nachts geöffnete Bar, vor der manchmal ein Mann mit seiner Hot-dog-Bude stand. Als sie dreizehn gewesen war, noch ein gewissenhaftes, pünktliches Schulmädchen, übersprudelnd von Ideen zur Selbstverbesserung, hatte sie ein Notizbuch geführt, in dem sie jeden Sonntagabend ihre Ziele für die kommende Woche festlegte. Es waren bescheidene, lösbare Aufgaben gewesen, und es hatte sie getröstet, sie mit dem Fortschreiten der Woche abzuhaken: Cello üben, netter zu ihrer Mutter sein, zur Schule laufen, um das Busgeld zu sparen. Sie sehnte sich jetzt nach solchem Trost, danach, daß Zeit und Ereignisse wenigstens teilweise einer Kontrolle unterlägen. Sie schlafwandelte von einem Augenblick zum nächsten, und ganze Monate glitten erinnerungslos vorüber, ohne die mindeste Spur ihres bewußten Willens zu tragen.
    »Fertig?« rief Colin. Sie ging hinein und machte die Verandatür hinter sich zu. Sie nahm den Schlüssel vom Nachtkästchen, schloß die Tür ab und folgte Colin die unbeleuchtete Treppe hinunter.
Zwei
    Überall in der Stadt, an den Einmündungen von Hauptstraßen oder in den Ecken der belebtesten Plätze, gab es kleine, gefällig hingebaute Kioske oder Buden, die tagsüber drapiert waren mit Zeitungen und Illustrierten in vielen Sprachen und reihenweise mit Postkarten, die berühmte Ansichten zeigten, Kinder, Tiere und Frauen, die lächelten, wenn man die Karte kippte.
    Im Kiosk, kaum zu sehen durch die winzige Luke und regelrecht im Finstern, saß der oder die Verkaufende. Man konnte hier Zigaretten holen, ohne zu wissen, ob sie von einem Mann oder einer Frau verkauft wurden. Der Kunde sah nur die einheimischen dunkelbraunen Augen, eine blasse Hand und hörte ein gemurmeltes Danke. Die Kioske waren Zentren nachbarschaftlicher Intrige und Tratscherei; hier hinterließ man Mitteilungen und Päckchen. Doch nach dem Weg fragenden Touristen antwortete eine unüberzeugte Geste auf die ausgestellten Stadtpläne, die zwischen den Zeilen schreiendbunter Illustriertentitel leicht übersehen wurden.
    Allerlei Stadtpläne wurden angeboten. Die dürftigsten entsprangen kommerziellen Interessen, und außer den vordergründigen Touristenattraktionen, die sie zeigten, hoben sie noch ganz besonders bestimmte Geschäfte oder Restaurants hervor. Diese Stadtpläne verzeichneten nur die wichtigsten Straßen. Ein anderer Stadtplan war ein schlecht gedrucktes Büchlein, und wie Colin und Mary herausgefunden hatten, verirrte man sich leicht, wenn man unterwegs umblättern mußte. Dann gab es noch den teuren, amtlich abgesegneten Stadtplan, der die ganze Stadt zeigte und selbst den aller- schmalsten Durchgang benannte. Er maß entfaltet 90 x 120 cm, war auf fadenscheinigstem Papier gedruckt und ließ sich im Freien ohne passenden Tisch und spezielle Klammern unmöglich verwenden. Schließlich gab es eine Serie von Stadtplänen, erkenntlich an ihren blau-weiß-gestreiften Umschlägen, die die Stadt in fünf handliche Abschnitte aufteilten, sich aber leider nicht überlappten. Das Hotel lag im obersten Quadrat von Plan zwei, ein teures, unzulängliches Restaurant unten auf Plan drei. Die Bar, zu der sie unterwegs waren, lag in der Mitte von Plan vier, und erst als sie an einem Kiosk vorbeikamen, dessen Läden für die Nacht verrammelt worden waren, fiel Colin ein, daß sie die Stadtpläne hätten mitnehmen sollen. Ohne sie würden sie sich mit Bestimmtheit verirren.
    Er sagte jedoch nichts. Mary lief einige Schritte voraus, sie ging langsam und stetig, als messe sie eine Entfernung ab. Sie hatte die Arme verschränkt, und hielt den Kopf in trotziger Nachdenklichkeit gesenkt. Der enge Durchgang hatte sie auf

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