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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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den Rosenkranz, weil die Ordensschwestern von Santa Isabel das Gelübde abgelegt hatten, für den Seelenfrieden aller zu beten, die nicht zum Gebet und zur Messe fanden.
    »Ich halte das für Zeitverschwendung«, flüsterte sie zwischen zwei Rosenkränzen der Mutter Oberin zu. »Wer nicht betet, will vielleicht gar nicht in den Himmel. Wer sind wir, sie dazu zu zwingen?«
    »Aber Doña Julia, ich bitte Sie!«
    Trotzdem fehlte sie keinen einzigen Tag. Ganz gleich, ob es regnete, ob es heiß war oder kalt, sie war stets fleißig bei der Sache. Doch ihr Einsatz hatte nicht das Geringste mit christlicher Nächstenliebe zu tun. Sie sah das Ganze als Pflichterfüllung, was ihren Taten in den Augen Gottes an Wert nehme, wie ihr die Mutter Oberin immer wieder sagte, um ihr schließlich die Empfehlung zu geben, sich eine andere Bestätigung zu suchen, die ihrer Persönlichkeit mehr entspreche.
    Monsieur Verdoux schlug ihr daraufhin vor, aus der Druckerei einen Treffpunkt für Gelehrte zu machen. Seit Bürgermeister Pablo de Olavide Sevilla hatte verlassen müssen, um der Anordnung der Heiligen Inquisition zu folgen, waren die Türen des Alcázars verschlossen und die Intellektuellen hatten keinen Ort mehr, an dem sie sich begegnen konnten. Julia hielt das für keine schlechte Idee. Es würde sich herumsprechen, dass ihr Unternehmen die Bildung förderte, und außerdem war es eine geistige Herausforderung für sie. Von da an füllte sich das Haus an mehreren Abenden in der Woche mit behäbigen Herren, die Zigarren aus der Tabakfabrik rauchten und dabei über die Zukunft des Landes philosophierten. Der Patio schwirrte vor kulturellen und gesellschaftlichen Projekten, diplomatischen Theorien und Vorschlägen zur Verbesserung der Welt, auch wenn sich niemand je die Mühe machte, eines dieser hehren Ziele in die Tat umzusetzen, die sich letztendlich in der Luft des Patios verflüchtigten wie der Rauch ihrer Zigarren.
    Gelegentlich kamen auch Musiker, Maler, Sänger, Schauspieler und Dichter vorbei, die Julia nie unterscheiden konnte, weil sie in ihren Augen alle gleich aussahen: dünn, blass, mit dunklen Augenringen und in zu engen Anzügen, schickten sie affektierte Seufzer gen Himmel.
    »Es ist hinlänglich bekannt«, erklärte Monsieur Verdoux, »dass Sonette und klingende Verse das Herz mit Leidenschaft und Dramatik überschwemmen, was sich ohne Zweifel negativ auf die physische Erscheinung auswirkt.«
    »Ja, ja … Ihr Herz mag voll sein, aber ihr Magen ist eindeutig leer«, murrte Mamita Lula, während sie Tabletts mit Häppchen und Erfrischungen füllte und zusah, wie sich bei jedem Besuch der Künstler ihre Speisekammer leerte.
    ***
    MIT DER ZEIT FAND SICH CRISTÓBAL mit dem ab, was ihm das Leben beschieden hatte. In seinem Schrank hingen gute Kleider, er hatte Geld in der Tasche und leitete praktisch die Druckerei. Er lebte in Doña Julias Haus, aß an ihrem Tisch, wurde von den Angestellten respektiert und arbeitete Hand in Hand mit seinem Sohn. Es war das, was er immer gewollt hatte. Aber in seinem Herzen wusste er, dass er allen etwas vorspielte. Er kam sich vor wie ein gescheiterter Betrüger, der Schutzheilige der Mittelmäßigen. Deshalb ließ er niemanden an sich heran.
    Er befürchtete, die Leute würden sofort merken, dass er ein Hochstapler war. Wenn sie ihn kennenlernten, würden sie merken, dass er nur ein kleiner Angestellter war, den seine Herrin nur deshalb aufgenommen hatte, weil er kein Zuhause mehr hatte. Streng und erhobenen Hauptes wanderte er durchs Haus und kommandierte die Angestellten herum. Bei ihnen fühlte er sich stark und sicher. Begegnete er aber einem der von Doña Julia protegierten Intellektuellen oder Dichter, senkte er den Kopf, denn er war sicher, dass sie bemerken würden, dass er ein Nichts war, wenn sie ihn nur lange genug ansahen.
    Hin und wieder versuchte er sich selbst einzureden, dass es ihm gelungen war, den Platz einzunehmen, der ihm von Rechts wegen zustand. Alles, was ihn davon trennte, der Herr im Haus zu sein, war die Tatsache, dass er nicht das Bett mit Doña Julia teilte. Doch dieses kleine Detail lastete tonnenschwer auf ihm. Es war nicht so sehr das Verlangen nach körperlicher Lust. Wenn er sich danach verzehrte, den Körper dieser Frau zu besitzen, dann nur, um sie ganz und gar zu seinem Eigentum zu machen.
    Sein Sohn Cristo hingegen schien keinerlei moralische Konflikte zu kennen. Zu jener Zeit besaß er bereits die Statur eines Mannes und das Auftreten eines

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