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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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jetzt, wo genau in der Kuppel sich der Schlussstein befand. Von dort müssen wir eine lotrechte Linie bis zum Fußboden ziehen. Wir sind überzeugt, dass der Kapitulationsvertrag genau darunter vergraben ist. Und ich werde ihn finden«, schloss er mit einem unbestimmbaren Funkeln in den Augen.
    ***
    JULIA WARTETE BIS ZUM NÄCHSTEN TAG, um mit Cristóbal zu sprechen. Sie musste unaufhörlich an den schrecklichen Tod von Julita und ihren Großeltern denken und fragte sich, weshalb die Stadtbüttel ihren Druckermeister verdächtigt hatten. Sie hatte die Beamten nicht belogen. Cristóbal hatte tatsächlich am Samstagnachmittag das Zimmer im Souterrain bezogen, aber er war auch ein paar Mal verschwunden. Er hätte Zeit genug gehabt, zum Haus seiner Schwiegereltern zu gehen. Vielleicht hatten sie sich gestritten, Cristóbal hatte die Beherrschung verloren, das Mädchen war dazwischengegangen, und dann … Cristóbal war ein so unberechenbarer Charakter.
    Als alle Angestellten gegangen und sie alleine in der Druckerei waren, beschloss Julia, ihren Druckermeister zur Rede zu stellen. Zunächst wusste sie nicht, wie sie anfangen sollte. Aber sie wusste, dass die Ungewissheit sie nicht mehr ruhig schlafen lassen würde. Also atmete sie tief durch und sah Cristóbal dann in die Augen. Sie hatte ihn so lange nicht mehr richtig angesehen, dass sie erst jetzt bemerkte, wie schmal und gealtert er aussah. Er schien unendlich müde zu sein, und sein Gesicht war welk und wächsern. Er war unrasiert, und die grauen Stoppeln ließen ihn noch älter wirken.
    »Wie doch die Zeit vergeht!«, murmelte Julia.
    Für Cristóbal hingegen war Doña Julia nach wie vor eine wunderschöne Frau. Dass er sich zuweilen die käufliche Liebe der hübschesten Mädchen im Freudenhaus leistete, änderte nichts daran. Keine von ihnen hatte ihre Eleganz, ihre Würde, ihre königliche Haltung. Keine Frau würde je so sein wie sie.
    »An Ihnen sind die Jahre spurlos vorübergegangen«, stellte er seufzend fest.
    Julia hatte Angst, dass ihr Werkstattmeister diesen Moment der Vertrautheit falsch deuten könnte. Obwohl sie es Mamita Lula und auch sich selbst gegenüber abstritt, war ihr stets klar gewesen, was Cristóbal für sie empfand. Es war etwas, das sie nicht näher benennen konnte und eigentlich auch nicht wollte.
    Sie ging ihm aus dem Weg, indem sie so tat, als ob sie in Gedanken sei, und vermied unnötige Gespräche, zu große Nähe und zufällige Begegnungen. Sie befürchtete immer, in einem unbedachten Moment ein Liebesgeständnis aus dem Mund dieses Mannes zu hören, der ihr eine so große Stütze gewesen war, der ihr Geschäft geführt hatte, als ob es sein eigenes wäre, und der ihr in den schwierigsten Zeiten zur Seite gestanden hatte.
    Sie war sich nicht sicher, ob sie in der Lage sein würde, noch länger mit ihm zusammenzuarbeiten, wenn sie ihn abwies. Vielleicht würde auch sein Stolz Cristóbal daran hindern, weiterhin in der Druckerei zu bleiben. Und er war zu alt, um eine andere Anstellung zu finden. Deshalb beeilte sich Julia lieber, um der Situation das Vertrauliche zu nehmen.
    »Ich werde nur ein einziges Mal fragen, Cristóbal«, sagte sie schließlich leise. »Haben Sie etwas mit den Vorfällen im Haus Ihrer Schwiegereltern zu tun?«
    Cristóbals Gesichtszüge entgleisten. Er merkte, wie ihm das Blut in die Schläfen schoss, und ballte die Fäuste. Wütend blickte er zu Boden. Doch dann wurde ihm klar, dass dies keine angemessene Reaktion auf eine solche Unterstellung war. Also riss er sich zusammen und sah Julia direkt in die Augen.
    »In der Hölle soll ich schmoren, wenn ich fähig wäre, meine eigene Tochter umzubringen.«
    Dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ging grußlos hinaus.

11 Eine unverständliche Botschaft
    Beim Schach handelt es sich um ein Duell Mann gegen Mann, bei dem die Persönlichkeit des Mannes auf dem Spiel steht. Jeder Spieler kämpft gegen seinen inneren Feind: seine Ungeschicklichkeit oder seine glänzenden Einfälle.
    JUAN JOSÉ ARREOLA
    D ie nächsten Jahre wären unbemerkt verstrichen, hätte Julia nicht genauestens festgehalten, was alles in ihrem Haus und in der Welt vor sich ging. Da sie Gefallen an Wörtern, Büchern und Einbänden gefunden hatte, beschloss sie, eine Mappe mit sämtlichen Dokumenten anzulegen, die ihr wichtig erschienen. Sie ordnete sie nach Wochen und schnürte sie mit farbigen Bändern zu kleinen Päckchen, wobei sie eine strenge Ordnung einhielt: zuerst die Rechnungen

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