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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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dem Topf löffelte. Sie machte ihr klar, dass der Genuss von Schnupftabak etwas für Fuhrleute und zwielichtige Draufgänger sei, keinesfalls aber ein wünschenswerter Anblick bei einem so hübschen Mädchen wie ihr. Und sie gab sich alle Mühe, ihr das Lesen und Schreiben beizubringen.
    »Zumindest deinen Namen, meine Liebe. Vor allem, wenn du einen Jungen wie Cristo heiraten willst, der den ganzen Tag von Buchstaben umgeben ist«, sagte sie.
    Candela sah sie unsicher an, während sie überlegte, ob sie Doña Julia erklären sollte, dass es nicht ihr Lebensziel war, vor den Altar zu treten. Sie wollte Schauspielerin werden und Punkt. Candela sagte auch nichts zu all den anderen Dingen, die Doña Julia ihr unbedingt beibringen wollte. Manche erschienen ihr eine unglaubliche Zeitverschwendung zu sein. Bislang hatte sie bestens damit gelebt, direkt aus dem Topf zu essen, Tabak zu schnupfen und nicht die geringste Ahnung zu haben, was Vokale waren und wie herum man ein Buch las.
    Aber sie tat Doña Julia den Gefallen, denn es rührte sie zutiefst, wie viel Mühe diese Frau sich machte, um ihr ein besseres Leben zu verschaffen. Zum ersten Mal kümmerte sich jemand um sie, ohne etwas dafür zu erwarten. Candela kannte nur große Gefühle; Mittelmaß war ihr fremd. Wenn sie hasste, tat sie es aus tiefster Seele, und wenn sie liebte, gab sie ihr Herz für immer und ewig her. Sie schwor sich, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um Unheil von Doña Julia und ihrer Familie fernzuhalten. Damals konnte sie nicht ahnen, dass sie dieses Versprechen viele Jahre später würde einlösen müssen.
    ***
    MONSIEUR VERDOUX WARTETE eine Weile, bevor er seinen Schüler nach San Juan de Acre mitnahm. Einige Wochen nach Julitas Tod pilgerten die beiden bei warmer Frühlingssonne zu ihrer »Gralsgemeinschaft«, wie der Franzose feierlich verkündete, und zwar mit einem überraschend andalusischen Tonfall, der ihm leicht von der Zunge ging. Abel staunte.
    »Du kannst dir sicherlich denken,
garçon
, dass ich den französischen Akzent nach all den Jahren, die ich hier lebe, aus reiner Koketterie beibehalte«, erklärte er belustigt.
    Bei ihrer Ankunft stand die ganze Komturei Kopf. Die Ordensbrüder waren dabei, die Wände des Hauptgebäudes zu weißen. Es war ein alljährliches Ritual, das dazu diente, das Sonnenlicht zu reflektieren und so während der heißen Sommertage die Innenräume kühl zu halten. Die bereits fertigen Wände strahlten so hell, dass sie den Betrachter beinahe blendeten. Aber die übrigen waren noch fleckig, und die Mönche beeilten sich, um vor der Vesper mit der Arbeit fertig zu werden.
    Verdoux und Abel mussten beinahe eine halbe Stunde warten, bis Bruder Dámaso zu ihnen nach draußen kam, um sie zu empfangen. Sein Gesicht war weiß gesprenkelt, und er trug Schutzhandschuhe. Abel kam gar nicht dazu, ihn zu begrüßen, denn der Mönch schloss ihn sogleich in seine Arme, bat ihn um Entschuldigung für die Verzögerung und äußerte seine Freude darüber, dass er seine Meinung geändert und sich entschlossen habe, sich ihrer Sache anzuschließen.
    »Das Leben hat für mich entschieden«, murmelte Abel kurz angebunden.
    »Hauptsache, du bist hier«, sagte Bruder Dámaso und klopfte ihm auf die Schulter. »Du hast uns mit deiner Weigerung ratlos zurückgelassen. Gehen wir in die Bibliothek. Nachdem du gegangen warst, ist alles ins Stocken geraten. Es gibt etwas sehr Wichtiges, das wir unbedingt erledigen müssen.«
    Sie gingen durch den Kreuzgang in die Küche. Bruder Dámaso nahm eine Öllampe vom Herd und zündete sie an. Dann verließen sie den Raum durch die Hintertür, die zum Refektorium führte. Da keine Essenszeit war, war niemand dort. An den Tischreihen entlang gingen sie zum Kalefaktorium, wo sich die Mönche während der kalten Wintertage wärmten. Je tiefer sie in das Gebäude kamen, desto dunkler wurde es. Plötzlich standen sie in einem großen, von goldenem Dämmerschein erfüllten Raum, wo es nach gegerbtem Leder, vergilbtem Papier und der Weisheit von Jahrhunderten roch. Es war die Bibliothek.
    Abel ging staunend durch dieses Mausoleum aus Buchstaben, sah Regale, hinter denen sich weitere Regale verbargen, und Leitern, um an Bücher heranzukommen, die sich zu schwindelerregenden Türmen stapelten. Er, der durch den Ort, an dem er aufgewachsen war, Bücher nicht nur als Hort für Träume und Weisheit, sondern auch als Objekte zu schätzen wusste, betrachtete hingerissen die in Pergament gebundenen und

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