Der Turm der Könige
haben Sie sich für ihn entschieden?« Er küsste weiter Julias Hand. »Dieser Pirat hat Sie betrogen. Er ist nachts heimlich ausgegangen … Er hatte etwas zu verbergen, er hatte Geheimnisse. Jeder wusste das, jeder, nur Sie nicht. Deshalb musste ich es tun. Es war nicht leicht. Ich hatte noch nie jemanden getötet, und ich habe es auch nie wieder getan.«
»Getötet? Wen getötet?«, stammelte sie. Und dann begriff sie. »León …«, flüsterte sie.
Cristóbal spürte, wie Julias Hand sich zur Faust ballte. Sie hob den Kopf und starrte ihn aus ungläubigen, glasigen Augen an.
»Sie haben ihn umgebracht«, stammelte sie.
»Ich habe es für uns getan«, rechtfertigte sich der Druckermeister. »Ohne ihn ging es uns besser. Es ist uns viel besser gegangen!«
Julia versuchte, sich aufzusetzen, doch sie hatte keine Kraft mehr. Ein dumpfes Rasseln entrang sich ihrer Brust, und sie begann zu zucken. Cristóbal schlug das Laken zurück und lockerte die Schnürung ihres Nachthemds. Er rief sie beim Vornamen, wie er es sich immer ersehnt hatte. Aber sie reagierte nicht
Er schüttelte sie, rieb ihren Rücken, versuchte das verfluchte Gelbfieber aus ihr herauszuprügeln … Bis er merkte, dass sie schon zu lange die Augen geschlossen hatte. Er hatte selbst das Gefühl zu sterben. Die Angst schnürte seinen Brustkorb zu, so dass er keine Luft mehr bekam. Er warf sich neben sie aufs Bett, den Platz, der ihm von Rechts wegen zustand, immer zugestanden hatte, und streckte die Hand aus, um das erloschene Gesicht seiner Geliebten zu streicheln.
Als handelte es sich um magische Worte, schien diese für einen Augenblick wieder sich zu kommen. Sie öffnete die glanzlosen Augen – die Augen einer Toten –, drehte ihren Kopf und blickte Cristóbal ausdruckslos an. Unter großer Anstrengung hob sie ihren Arm und stieß Cristóbals Hand heftig weg. Dann schloss sie erneut die Augen und starb.
***
ABEL WAR ES EGAL, dass man ihm sagte, es sei ein großer Fehler, die Gelbfiebertoten in den Kirchen zu bestatten. Er bestellte einen Bleisarg und einen weiteren aus rotem Marmor, legte den Leichnam seiner Mutter in den ersten und diesen dann in den Marmorsarkophag, überzeugt, dass die Krankheit so unmöglich nach außen dringen könne. Er weigerte sich strikt, die Person, die ihm das Leben geschenkt hatte, in einem Massengrab zu verscharren, nachdem sie selbst so viel Mühe darauf verwendet hatte, alle, die ihr im Leben wichtig gewesen waren, in der Grabkapelle der Kathedrale zu versammeln. Unter dem aufmerksamen gläsernen Blick von Turca bestattete er sie zwischen León und Mamita Lula. Tief in seinem Herzen wusste er, dass er das Richtige getan hatte.
Doch nicht alle Toten teilten dieses Schicksal. Die Krankheit hatte so viele Opfer gefordert, dass den Sevillanern nichts anderes übrigblieb, als die Leichen vor den Stadttoren aufzuhäufen, wo sie von den Totengräbern auf städtische Karren geladen wurden. Von dort brachte man sie zu zwei eilig ausgehobenen Massengräbern, einem am Prado de San Sebastián, in der Nähe der Ermita del Santo, und einem weiteren im Viertel La Macarena, unweit von San Onofre.
Das Gelbfieber forderte mehr als fünfzehntausend Menschenleben in Sevilla. Die Stadtverwaltung gab eine Million Reales für Schwefelsäure und Salpetersäure aus, um Straßen und Häuser auszuräuchern. Die Familien trugen Möbel, Betten, Laken, Decken, Matratzen, Leintücher, Kleidung und persönliche Gegenstände der Verstorbenen aus den Häusern, um sie zu verbrennen. Man fühlte sich an Höllenfeuer erinnert, doch alle sahen die lodernden Flammen als reinigend an.
Als der »Alte Weise« erfuhr, dass Doña Julia die Welt der Lebenden verlassen hatte, ging er zur Druckerei, wo er wie ein Geist auftauchte. Er hatte es eilig, denn er wollte das Haus durchsuchen, bevor Abel aus Carmona zurückkehrte, um sich um die Beerdigung zu kümmern. Er traf nur Cristóbal an. Der Drucker sah furchtbar aus. Er hockte inmitten von leeren Flaschen und betrank sich besinnungslos. Fernando Álvarez sah ihn verächtlich an, ohne ihn auch nur zu grüßen, und durchsuchte dann ein Zimmer nach dem anderen. Er war überzeugt, dass Cristóbal in all diesen Jahren kläglich versagt hatte. Mit Sicherheit verbarg sich in diesem Haus das, wonach er seit Jahren suchte.
»Verschwinden Sie von hier!«, schrie Cristóbal ihn an, als er den Lärm hörte und den Eindringling erkannte.
»Sei still, du Schwachkopf! Das ist unsere Gelegenheit.«
»Es gibt
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