Der Turm der Könige
genug war, bemerkte er den muffigen Geruch von tagealtem Schweiß. Der Cristo, den er dort vor sich sah, hatte nichts mehr mit dem alten Cristo gemeinsam, der fröhliche Lieder geschmettert hatte und der immer ein Lächeln auf den Lippen trug.
»Ich werde die Druckerei wieder aufmachen«, sagte er zu ihm. »Und ich hätte gerne, dass du für uns arbeitest. Ich brauche jemanden, der das Geschäft und die Kunden kennt.« Er wartete auf eine Antwort, sprach aber weiter, als keine kam. »Jetzt, da dein Vater nicht mehr ist … Nun, ich biete dir seine Stelle an, zum gleichen Lohn, mit den gleichen Arbeitszeiten, den gleichen Bedingungen. Wir könnten sogar über eine Gehaltserhöhung reden …«
Cristo unterbrach ihn.
»Könnte ich das Zimmer im Souterrain bekommen?«, fragte er, ohne ihn anzusehen.
Abel schien einen Moment zu zögern.
»Natürlich. Wie gesagt, ich biete dir die Stelle zu den gleichen Konditionen, die dein Vater hatte.«
***
BRUDER DÁMASO HATTE DEN FUND, den sie im Escorial gemacht hatten, für eine Weile zurückstellen müssen, um all seine Kräfte der Komturei zu widmen, in der das Gelbfieber wütete. Die Kirche war so leer, dass sie die Gottesdienste in der Capilla de la Estrella abhalten mussten. Die Seuche hatte die Brüder dramatisch dezimiert, doch während die meisten anderen Mönche in Lethargie und Mutlosigkeit verfielen, setzte er alles daran, dem Unglück die Stirn zu bieten. Wenn er den Karren nicht aus dem Dreck zog, würde es niemand tun.
»Ich werde die Komturei so hinterlassen, wie sie einmal war«, sagte er entschlossen.
Aber das glaubten nur die wenigsten. Die jungen Mönche, die den Orden einmal übernehmen sollten, waren die Ersten, die der Krankheit zum Opfer fielen. Angetrieben von ihrer jüngst vernommenen Berufung, hatten sie sich mit Leib und Seele der Krankenpflege gewidmet, ohne sich um ihre eigene Gesundheit zu sorgen. Über hundert von ihnen starben. Die Älteren, die mit dem Leben davongekommen waren, alterten nun noch schneller. Sie waren überzeugt, dass dieses ganze Unglück Teil des göttlichen Plans und es folglich unsinnig war, sich gegen die Wege des Herrn aufzulehnen.
»An dem Tag, da wir morgens aufstehen und keine Lust mehr haben, den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen, sind wir tot«, verkündete Bruder Dámaso, um ihnen Mut zu machen.
»Man bräuchte eine ganze Armee, um dieses Kloster wiederaufzubauen«, antworteten die Mönche.
Als die furchtbare Epidemie schließlich nachließ und sich das Rumpeln der mit Toten beladenen Karren in der Ferne verlor, setzte Bruder Dámaso den marokkanischen Botschafter über die Liste der Schachpartien in Kenntnis, die sie in der Bibliothek des Escorial gefunden hatten. Das Schriftstück ließ keinen Zweifel zu: Eine Partie stand noch aus. Er teilte ihm mit, dass er vorhabe, nach Madrid zu reisen, um mit dem neuen König zu sprechen und ihn an das Versprechen zu erinnern, das sein Vater ihnen vor Jahren gegeben hatte.
Aber es war kein guter Zeitpunkt für Karl IV ., sich Gedanken über jahrhundertealte Schachpartien zu machen. Er hatte genug damit zu tun, die absurden Ideen der Französischen Revolution von seinem Land fernzuhalten, die in ganz Europa propagiert wurden. Darüber hinaus kursierten Spottverse in den Straßen der Stadt, die das ausschweifende Wesen seiner Gemahlin zum Thema hatten. Die Königin, so hieß es, vergnüge sich mit dem ersten Staatsminister Manuel Godoy, und beide führten gemeinsam das Zepter. Der König selbst habe nichts zu sagen.
»Ihr müsst verstehen, dass wir in Zeiten großen Ungemachs leben«, erklärte König Karl IV . Bruder Dámaso, als dieser ihm seine Aufwartung machte. »Mein guter Godoy sah sich gezwungen, ein Abkommen mit Napoleon zu schließen, nach dem dieser frei über die spanische Flotte verfügen kann. Das bringt uns erneut in Konflikt mit Großbritannien.« Er seufzte niedergeschlagen. »Die ständigen Kriege haben der Staatskasse schwer zugesetzt. Meine Minister versuchen gerade, die Lage zu bereinigen, doch die drohende Revolution macht es ihnen schwer. Die Reformen sprechen dem Adel und der Kirche ihre Vorherrschaft ab. Und das ist gegen die natürliche Ordnung. Wie könnt Ihr glauben, dass ich mich da um eine Schachpartie kümmere?«, fragte der König mit verdrießlichem Gesicht, ohne auch nur einen Blick auf die Liste mit den Schachpartien zu werfen, die Bruder Dámaso ihm zeigte. »Sucht weiter nach dem Original mit der Unterschrift von König Alfons.
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